Abbaye de Sénanque, Juli 2022

 

Der Lavendel blüht. In der Provence ist das schon eine Nachricht wert. Der Lavendel – das ist pures Provence-Gefühl! Auf den Märkten stapeln sich die Duftkissen und verströmen diesen herben Geruch, der alle Provence-Sehnsüchte weckt. Und dort, wo die Lavendelbüsche Reih um Reih blau-violett bis zum Horizont in der Sonne leuchten und die Luft mit diesem einzigartigen Duft erfüllen, parken die Menschen ihre Autos entlang der Straßen, und dieses Wunder aus nächster Nähe zu sehen. Zu fühlen. Und zu riechen. Nicht immer zur Freude der Lavendelbauern.

Eine Ansichtskarte, die in keinem Kartenständer in der Provence fehlt, zeigt die mittelalterlichen weißen Gemäuer der Abbaye Notre-Dame de Sénanque unter blauem Himmel und hinter leuchtenden Lavendelfeldern.

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Das Zisterzienserkloster gehört wohl zu den meistfotografierten Motiven der Region – jedenfalls, wenn der Lavendel blüht. An einem Montagabend unternehmen wir einen Abstecher dorthin. Die letzte Führung durch das Kloster ist schon längst vorbei und so erscheint der Moment gut gewählt, um in aller Ruhe einen Blick auf das abgeschiedene Bauwerk im Lavendelmeer zu werfen.

Vom malerischen Dörfchen Gordes, das hoch auf einem Berg thront, führt eine schmale Serpentinenstraße durchs gebirgige Hinterland des Vaucluse. Vor dem Kloster allerdings sind wir auch zu dieser Abendstunde nicht allein. Schon weit vor dem Parkplatz stehen die Autos am Straßenrand. Die bekannte Ansicht – die Lavendelfelder vor dem Bau aus dem 12. Jahrhundert – ist nur hinter einem großen Gitterzaun zu sehen. Schilder verweisen darauf, dass die zehn Hektar großen Lavendelfelder unter Videobewachung stehen: Betreten verboten.

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Und dennoch schweift ein einzelner Mann in aller Seelenruhe und Muße durch die Felder, immer wieder bleibt er stehen, bückt sich, reibt an den Blüten und lässt sie durch seine Hände rieseln. Bis er schließlich einen weniger abgesicherten Abhang hochklettert, zu seinem geparkten Auto geht und davonfährt.

 

Vor drei Jahren gingen Bilder um die Welt, auf denen Lavendelfelder mit großen Plakaten zu sehen waren: „Bitte respektiert unsere Arbeit“, stand darauf geschrieben. Die Lavendelbauer liefen gegen Influencer Sturm, die für das wunderschönste Instagram-Foto die Felder als Kulisse missbrauchten. Sie revoltieren gegen die Touristenmassen, die durch die Felder trampelten und die Lavendelbüsche zerpflückten. Und sie bauten Elektrozäune, um ihre Ernte zu sichern.

Denn Lavendel ist ein Wirtschaftsgut. „Blaues Gold“ wird es in der Provence genannt. Lavendel ist ein wichtiger Rohstoff für die Parfüm- und Kosmetikindustrie. Für die Herstellung von einem Liter reinem Lavendelöl werden 20 bis 40 Kilo Blüten benötigt. Allerdings wird dafür zumeist der wilde „Lavandin“ verwendet, der Hybrid-Lavendel. Der echte Lavendel, der allein für die Parfümindustrie verwendet werden kann, wächst nur in Höhen ab 800 Metern. Er lässt sich leicht von seinem wilden Bruder unterscheiden, denn er hat nur eine Blütenrispe pro Stängel. Wilder Lavendin dagegen wächst in mehreren Blütenrispen aus, sein Duft ist herber, sein Öl ist weniger hochwertig. In der Provence wird er dreimal mehr angebaut als der echte Lavendel.

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Dass Frankreich als Produzent für Lavendel nicht mehr die Nummer eins auf dem Weltmarkt ist, liegt nicht nur daran, dass die Herstellungskosten im Vergleich mit anderen Ländern stetig steigen. Seit dem Jahr 2000 macht zudem eine existenzbedrohende Krankheit auf den Feldern die Runde: Das Bakterium Stolbur-Phytoplasma, von winzigen Zikaden übertragen, lässt die Blüten verkümmern und die Pflanzen vertrocknen. Bis heute gibt es kein Gegenmittel. Die Produktion brach deshalb zu Beginn des Jahrtausends ein, zwischen 2005 und 2010 ging die Hälfte aller Anbauflächen in Südfrankreich verloren. Inzwischen hat Bulgarien Frankreich als Hauptproduzent überrundet, China folgt auf den Fersen.

Die Provence ohne Lavendel? Das mag man sich gar nicht vorstellen! Und dieser Gedanke hat wohl auch die Lavendelbauern der drei Departements Drôme, Vaucluse und Alpes-de-Haute-Provence beunruhigt. Vor wenigen Tagen haben sie eine Kandidatur bei der UNESCO eingereicht: Sie wollen den Lavendel als Kulturerbe für die Provence sichern. Mit einer Entscheidung wird erst in einigen Jahren gerechnet. Derweil sind in der Provence Ferien. Die ersten Lavendelfelder sind abgemäht. Und die Fototouristen schwirren durch die Gegend, um die letzten schönen Bildmotive zu entdecken.

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