L'Isle sur la Sorgue, Juli 2022

 

Im ersten Moment sah ich einen grünen Zweig. Ich wollte ihn wegwischen, aber da bewegte er sich – und sah mich an. Eine Schrecksekunde! Bis ich verstand: Das ist ein Tier. Ein Insekt. Eins, das nicht von dieser Welt zu sein scheint. Und doch hat es einen wunderschönen Namen: Gottesanbeterin.

Ein seltsames Wesen jedenfalls, das so gar nicht in meine Tierwelt-Kategorien passt. Der dreieckige Kopf mit den Facettenaugen an der Seite erinnert an E.T., den Außerirdischen. Der Kopf dreht sich um 180 Grad, das hat etwas sehr Befremdliches. Wie ein Roboter.

Gottesanbeterin

Die beiden Fangarme hat die Fangschrecke vor der Brust gefaltet, wie es ein betender Mensch tut, daher der Name: Mantis religiosa. Mantis bedeutet auch Seherin. So lauert die Gottesanbeterin auf Opfer, auf Spinnen, Wespen, Käfer, um dann blitzschnell – sechsmal schneller als ein Lidschlag - zuzupacken.

Alles andere als behaglich ist die Vorstellung, dass das Weibchen gelegentlich, wenn sie beim Fortpflanzungsakt hungrig ist, das Männchen köpft und verspeist. Danach legt es 200 bis 300 Eier und stirbt auch bald, jedenfalls noch vor dem Winter. Das Leben einer Gottesanbeterin vollzieht sich in einem Jahr.

Umso älter ist ihre Geschichte. Lange, bevor der Mensch auf der Bildfläche erschien, lebten schon Gottesanbeterinnen – Aug in Aug mit den Dinosauriern - auf der Erde: Die ältesten Fossile finden sich in hart gewordenen Baumharztropfen und sind an die 100 Millionen Jahre alt. Ursprünglich kommen die Fangschrecken aus Afrika. Aber mit dem Klimawandel sind sie mittlerweile schon in nordischen Breiten heimisch. Im Jahr 2017 wurden sie deshalb in Deutschland zum Insekt des Jahres ausgerufen.

Meine Besucherin hatte keinen Fluchtreflex: Sie blieb auf der Gartenstuhllehne sitzen, in würdevoller Ruhe, und ließ sich wunderbar aus nächster Nähe fotografieren. Sie bewegte sich kaum und wenn, dann in Zeitlupe, bis sie doch irgendwann wieder verschwunden war. Eine merkwürdige Begegnung war das. Und doch hat sie mich mal wieder staunen lassen über die Wunder der Schöpfung.

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