In Mormoiron, 1. Mai 2022
Es ist Spargelzeit. Das ist – jedenfalls in Deutschland - eine besondere Zeit. Sobald die ersten Stangen des königlichen Gemüses ihre Köpfe aus der Erde strecken und gestochen werden, sind die meisten Deutschen im Spargelfieber. In den Nachbarländern scheint diese besondere Liebe nicht so ausgeprägt zu ein. In Frankreich gilt Spargel wohl eher als eines von vielen schönen Geschenken der Natur, die uns der Frühling bringt. Dennoch: Im provenzalischen Mormoiron am Fuße des Ventoux findet alljährlich ein Spargelmarkt statt. Ein Fest, um die Ankunft des Spargels zu feiern. Die 33. Ausgabe fiel in diesem Jahr auf den Tag der Arbeit, an dem in Frankreich zudem das Maiglöckchenfest gefeiert wird.
In ganz Frankreich stehen am 1. Mai ganze Familien am Straßenrand und bieten aus großen Körben Maiglöckchen-Sträuße zum Kauf. Die Tradition geht angeblich auf den französischen König Karl IX. zurück, der im 16. Jahrhundert den Damen am Königshof ein Maiglöckchen schenkte. Seither gelten die Blumensträuße als Glücksbringer, die man am ersten Tag des Wonnemonats Mai all jenen Menschen, die man besonders mag, schenkt. Der süße Duft der glockenförmigen Blüten steht in Frankreich zudem für Weiblichkeit und Sinnlichkeit, nicht von ungefähr ist er Bestandteil vieler Parfums.
Auch auf dem Spargelmarkt hat eine junge Frau einen kleinen Verkaufstisch aufgebaut, um ihre Sträuße zu präsentieren. Die Pflanzen stehen zudem noch in der Erde, sagt sie – so könne man sie nach dem Verblühen in den eigenen Garten pflanzen. Vom Spargel ist dagegen zunächst nichts zu sehen.
Dagegen bietet die Dorfstraße das übliche Marktgeschehen. Gleich am Eingang gibt einen kleinen Streichelzoo mit Gans, Esel, Schweinen, Schafen und Ziegen und einem Stier. Gewöhnungsbedürftig dagegen der nächste Stand: Im merkwürdigen Kontrast zu den friedlichen Tieren liegen dort auf dem Tresen Waffen und Gewehre. Liebhaber alter Motoren kommen bei einer kleinen Ausstellung mit historischen Traktoren und Autos auf ihre Kosten.
Ein buntes Verkaufssortiment ist bei diesem Spargelfest vertreten. Es gibt Bilder, Bücher, Kleidung und Tierfutter, Armbänder und Schmuck, Gürtel, Keramik, Kräutertöpfe und Spielzeug. Jede Menge Stände mit Würzigem und Süßen, auch zum Probieren: Tomaten, Knoblauch, Erdbeeren, Käse, Nougat. Und natürlich gibt es dann auch Spargel. Weißen, grünen und violetten. Denn im Gegensatz zum deutschen Stangengemüse, bei dem eine lila Färbung der Köpfe durch die Sonne als Manko den Preis drückt, gilt gerade dieser Spargel in Frankreich als Delikatesse. Der grüne Spargel, der gänzlich über der Erde wächst, liegt schon seit einigen Wochen in französischen Supermärkten. Aber von diesem Spargel hält die Verkäuferin auf dem zentralen Veranstaltungsplatz gar nichts: Das habe nichts mit frischen Qualitäts-Spargel zu tun, sondern sei nur ein billiges Industrieprodukt aus Spanien, sagt sie verächtlich.
Aus den Lautsprechern tönen die offiziellen Eröffnungsreden des Bürgermeisters und der Veranstalter. Auf dem place du clos, dem zentralen Dorfplatz, stehen Bänke und Tische, eine Bühne ist aufgebaut, Wein und Getränke werden ausgeschenkt. Fünf Köche lassen sich am langen Tresen in die Töpfe gucken, wo sie verschiedene Spargelgerichte anrichten, die zur Mittagszeit an die Besucher verteilt werden. Alternativ bieten zwei Foodtrucks Burger, Pizza und Froschschenkel in Petersilie. Eingerahmt wird das bunte Allerlei von den Fanfaren einer Truppe weiblicher Tambourmajoren und eines Spielmannszuges.
Ein fröhliches Fest also. Es gibt alles, was die Menschen lieben: gutes Essen, Wein und Musik und Geselligkeit. Was stand irgendwo auf der Einladung? Das Spargelfest stehe für die Werte der ländlichen Welt: Einfachheit, Frohmut, Respekt vor zum Teil schon verkannten Traditionen und die Aufwertung der Hand- und Landarbeit. Das passt doch. Und im Korb trugen wir natürlich auch jede Menge Spargel nach Hause. Denn ich gestehe: Ich gehöre zu den Menschen, die jetzt im Spargelfieber sind und die Tage bis zum der Saison am 21. Juni zählen…