Unterwegs im Luberon, März 2021

 

Buoux – das ist eines dieser französischen Wörter, bei denen ich nicht wirklich weiß, wie man es ausspricht. Und jeder, den ich frage, sagt es anders. Die Varianten reichen von „Büus“ über „Büu“ bis „Buks“ – die Provenzalen sind mit ihrer Aussprache schon sehr eigen. Egal – nach Buoux hat es uns an einem schönen klaren Frühlingsmorgen verschlagen. Ein kleiner Ort, ein Bergdorf im Luberon - ach was: ein Weiler, wie der Reiseführer so schon schreibt. Ein paar Häuser nur an zwei schmalen Gassen, die sich kreuzen. Wir wären fast dran vorbeigefahren. Aber Buoux ist ein alter Ort mit viel Geschichte – und mit viel Natur.

Buoux

Und mit Kultur, wie sich schon am Ortseingang zeigt. Dort steht, gleich hinter dem Parkplatz, eine Telefonzelle. Merkwürdig, dass man oft erst merkt, dass etwas nicht mehr da ist, wenn man darauf gestoßen wird. Wann habe ich die letzte Telefonkabine gesehen? Früher stand an jeder Ecke eine. Früher… Diese in Buoux jedenfalls ist umfunktioniert. Das Telefon hat keinen Anschluss mehr. Die Zelle dient vielmehr für eine andere Art der Kommunikation: Sie wird als kleine Bibliothek benutzt. Wo sonst die Telefonbücher lagen, stapeln sich jetzt Romane. Gegenüber ist das alte überdachte Waschhaus, an dem sich früher die Frauen zum Klönen und Wäschewaschen trafen. Heute spielen die Kinder neben dem Wasserbecken.

Telefonzelle

Ein paar Schritte nur, und wir haben Buoux durchquert. Keine 130 Einwohner, aber vor dem Rathaus hängt stolz die französische Fahne. Der Weg führt steil bergauf. Buoux bedeutet „Ort auf der Höhe“. Hier kreuzten sich einst zwei jahrtausendealte Weg, die von Aix-en-Provence nach Apt führten. Viele historische Funde aus prähistorischer Zeit, später aus der Römerzeit zeugen davon.

Vom Plateau oberhalb des Ortes reicht der Blick über die Berge und Felder des Luberon. Das ist heute auch der letzte Weg der Menschen, die hier wohnen, etwa 20 Minuten lang: Der Weg führt zum Friedhof. Das Tor in der Steinmauer ist nicht verschlossen. Der kleine Ort dahinter – mitten im Nirgendwo - versprüht eine ganz besondere Magie. Inmitten der grünen Wiese und der Gräber, viele von ihnen mit Blumen geschmückt, steht eine romanische Kapelle. Sie ist der Muttergottes geweiht. Gebaut im 12./13. Jahrhundert, riefen die Glocken von Sainte-Marie sonntags die Bergbewohner ringsherum zum Gottesdienst. Im 17. Jahrhundert wurde die größere Kirche in Buoux gebaut, seither dient Sainte-Marie nur noch als Friedhofskapelle.

Friedhof

Die Holztür im Eingang quietscht ein bisschen. Der Kirchenraum dahinter ist feucht und kalt, die Wände sind unverputzt. Links am Eingang ist ein großer Grabstein, sonst ist der gewölbte Ziegelraum mit unverputzten Wänden ganz leer. Hinter dem steinernen Altartisch vorne muss früher wohl ein großes Bild gehangen haben. Auf dem Tisch stehen einige halb abgebrannte Kerzen, ein kleines Madonnenbild und ein Korb mit einer kleinen nackten Kinderfigur. Der Raum atmet Geschichte. Hier fällt es einem nicht schwer, sich vorzustellen, wie sich früher die Bauern der Gegend mit krummen Rücken und groben Händen in die Bänke quetschten und ihrem hartem Dasein für ein paar Stunden entflohen, um sich mit den Gedanken an ein besseres Jenseits zu trösten.

Altar

Im Sommer ist Buoux heute vor allem Ziel vieler Bergsteiger, die die Felswände ringsherum erklimmen. Seit Urzeiten dienten diese Felsen als Zufluchtsstätte der Menschen. Es gibt viele Höhlen. In einer wurden Zähne aus prähistorischer Zeit gefunden: Neandertaler haben dort gelebt. Im 13. Jahrhundert wurde das Fort Buoux als Verteidigungsanlage auf einem Felsvorsprung gebaut, im 16. Jahrhundert ließ König Ludwig XIV es abreißen. Die Ruinen sind noch heute zu besichtigen, aber der Wanderweg ist nicht ganz ungefährlich.

Wir fahren stattdessen weiter in Richtung Apt. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einem anderen historischen Ort vorbei: Saignon. Ein beschauliches Dorf, das wie ein Vogelnest auf einem Felsvorsprung klebt. Schon Kelten und Ligurer ließen sich dort nieder. Saignon gehört zu den ältesten Dörfern Frankreichs und wohl auch zu den schönsten in der Provence: Ockerfarbene Häuser säumen die schmalen Gassen hin zum Place de la Fontaine, dem zentralen malerischen Platz mit dem Brunnen. Nur schade, dass alle Restaurants immer noch – coronabedingt – geschlossen sind. Das ist ein Ort, der bei einem Glas Rosé genossen werden will!

 SaignonZentrum

Wir setzen uns stattdessen mit unseren Käsestullen und dem Tee aus der Thermoskanne auf eine Steinmauer und lassen den Blick schweifen über das Tal und das Vaucluse-Gebirge auf der anderen Seite. Auch schön – wenn auch kein VergleichSaignon ist noch ein Geheimtipp. In den 60er Jahren war das Bergdorf halb verlassen, keine 400 Menschen lebten mehr dort, erzählt der Reiseführer. Dann entdeckten Aussteiger und Hippies diesen malerischen Winkel, heute zählt Saignon wieder an die 1000 Einwohner. Während sich früher – in Vor-Corona-Zeiten – die Touristen im benachbarten Gordes und Roussillon auf die Füße traten, hat Saignon seine dörfliche Ruhe und Beschaulichkeit bewahrt. Die kleine Dorfstraße führt am Uhrturm von 1584 vorbei zu den Felsen, auf denen sich die Ruinenreste von drei befestigten mittelalterlichen Burgen befinden. Ausgetretene Stufen führen hinaus: Von dort oben ist der Blick hinunter fast schwindelerregend!

SaignonAussicht

Erst auf dem Rückweg entdecken wir das große alte Waschhaus im Zentrum. Ein grober Steinboden, das Wasserbassin, darüber eine Holzdecke. Wo die Waschfrauen sich das Neueste aus der Welt und dem Dorf erzählten, ist offensichtlich immer noch ein Treffpunkt für die Dorfbewohner: In den hölzernen Regalen an der Wand stapeln sich die Bücher der örtlichen Bibliothek. Romane, Reisegeschichten, Bildbände. Eine schöne Entdeckung: Ob Waschhaus oder Telefonzelle, die Welt der Literatur und Kultur hat noch einen festen Platz in diesen kleinen Bergdörfern.

Waschhaus

 

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