In der Villa Datris, Oktober 2020
Wir sind eine Wegwerfgesellschaft. Müll überzieht die Erde, er wächst zu immer höheren Bergen und verseucht die Meere für ewige Zeiten. Doch was ist Abfall? Was qualifiziert das Material, das es seinen Wert verloren und plötzlich überflüssig ist, abstoßend, ungewünscht? In den Händen von Künstlern kann aus diesem Stoff etwas Neues werden: ein Werkstoff. Ein Werk. Eine politische Aussage nach dem Motto: Sage mir, was du wegwirfst, und ich sage dir, wer du bist. Eine Ausstellung, die viele Gedankenanstöße dazu gibt, war in diesem Jahr in L’Isle sur la Sorgue zu sehen: In der Villa Datris zeigten 89 internationale Künstler, wie aus Abfall Kunst werden kann.
Der Rahmen, in dem diese Unrat-Werke präsentiert werden, ist exquisit. Eine wunderschöne alte Villa mitten in L’Isle sur la Sorgue. Vor rund zehn Jahren haben Danièle Kapel-Marcovici und Tristan Fourtine sie gekauft und aufwendig restaurieren lassen. Und aus ihrer Passion zur zeitgenössischen Bildhauerei und Kunst heraus machten sie den Menschen die Villa als Geschenk: Mit ihrer „Stiftung Villa Datris“ wird die Kunst für alle zugänglich. So öffnen sich nun jedes Jahr die Türen der Villa für eine kostenlose Ausstellung, für Begegnung, Kreativität, Kultur und den Austausch darüber. Auf vier Etagen und in einem idyllischen Garten an der Sorgue bestaunen rund 30000 Besucher jährlich Kunst mit wechselnder Ausrichtung. In den vergangenen Monaten werden es – coronabedingt – weniger gewesen sein, obwohl das Thema Abfall nicht minder aktuell ist. „Recyclage – surcyclage“ (etwa „Wiederaufbereitung – Aufwertung“) lautet das Motto der zehnten Ausstellung, die in diesen Tagen ausläuft.
Mal ernst, mal mit einem Augenzwinkern zeigen dabei die Künstler, wie sie Abfall als Kunst aufwerten und so neu in den Blick nehmen. Manchmal scheint es ganz einfach. Einen Feuerlöscher zum Beispiel, wie er unbeachtet in vielen Räumen steht, verwandelt Bertrand Lavier nur mit greller Farbe in eine interessante Skulptur. Farblich ebenso auffällig ist das Werk „Iris“ von Konrad Loder, einem deutschen Künstler, der in Paris lebt: Seine bunten und übergelaufenen Farbtöpfe auf dem Werktisch sind scheinbar mitten im Arbeitsprozess zu einem Regenbogen-Bild erstarrt.
Selbst ein edles altes Klavier hat irgendwann ausgedient und wird bei Stéphane Guiran zum hölzernen Ständer eines kleinen Baumes: ein Verweis zugleich auf seine eigene Herkunft. Höhere Weihen bekommen die Plastikflaschenverschlüsse und Tastaturtasten, die Moffat Takadiwa, ein Künstler aus Zimbabwe, für seine „Party Regalia 2019“ zu einer zeremoniellen Figur zusammenfügt.
Magisch erscheint die Götterfigur Quetzalcoatle, die „leuchtende Schwanzfederschlange“, einst eine Gottheit der Azteken und Maya im Mittelamerika, die oft als Klapperschlange mit den Federn des heiligen Quetzalvogels dargestellt wird. Der Künstler Guillaume Cabantous formt sie aus einem Totenschädel, umrahmt mit Federbällen und einem kunstvoll drapierten Umhang, der aus einer zerborstenen Windschutzscheibe besteht.
Im Garten begegnet uns dann noch die auffällige Skulptur eine deutsch-iranischen Künstlerin aus Berlin: „A4“ ist der kurze Titel, mit dem vielleicht nicht jeder gleich etwas anfangen kann. Er verweist auf die deutsche Bundesautobahn, die von Aachen bis Görlitz verläuf. Die verbeulten Leitplanken, rot gestrichen, hat Bettina Pousttchi zu einer mannshohen Stahlfigur aufgerichtet und so ganz aus ihrem Bedeutungszusammenhang gerissen.
Nicht weit davon entfernt hinter einem Gebüsch findet sich, ganz possierlich, das Werk eines anonymen Künstlers. Ein buntes Huhn, das der Unbekannte aus Küchengeräten und Rollschuhen und mit viel Farbe gezaubert hat. Eine politische Botschaft scheint er damit nicht verbunden zu haben. Und doch macht mir gerade dieses Werk Lust darauf, zu Hause selbst mal künstlerisch tätig zu werden. Nach dem Rundgang durch die Villa Datris bin ich sicher, dass es an Material dazu nicht mangeln wird.