Zur Blutspende, Oktober 2020

 

Einmal im Monat wird in unserem Städtchen zur Blutspende eingeladen. Die Plakate hängen an Laternen, Kreuzungen und Straßenbäumen. Ich habe nie besonders darauf geachtet. Dann las ich, dass Blutspenden in Corona-Zeiten gerade besonders gefragt seien. Da kam mir zum ersten Mal der Gedanke, das Helfen manchmal ganz einfach sein kann. Aber was heißt einfach…

Ich gebe zu, ich bin in meinem Leben erst einmal zur Blutspende gegangen. Das war kurz nach meinem 18. Geburtstag. Im Freundeskreis hatten wir über Blutgruppen gesprochen. Und der einfachste Weg, um seine Blutgruppe zu ermitteln, erschien uns damals die Blutspende zu sein. Die fand in unserem Dorf in einer Gaststätte statt. Im Festsaal hinter dem Gastraum, vor der Bühne, wo sonst die plattdeutsche Theatergruppe ihre jährlichen Stücke aufführte, waren die Liegen des Deutschen Roten Kreuzes aufgebaut. Ich erinnere mich nicht mehr an die ganzen Formalitäten. Nur noch daran, dass mir ganz mulmig wurde, als mein Blut aus dem Arm direkt vor meinen Augen in den Blutbeutel neben mir tropfte. Die Krankenschwester – war es eine richtige Krankenschwester? – rief in die Gaststätte nach vorne, sie brauche eine Cola für einen schwachen Kreislauf. Ich trank die Cola, was schwierig war im Liegen. Nachher gab es noch belegte Brötchen. Danach habe ich mich nie mehr getraut. Aber seither besitze ich einen Blutspende-Ausweis. Darin steht: Blutgruppe A. Wie die meisten Menschen. Ich hatte insgeheim etwas Exotischeres erhofft, B negativ oder eine AB-Blutgruppe.

Jetzt also wollte ich die Zähne zusammenbeißen und tapferer sein als damals. Ich fragte Freunde und die Nachbarn, aber keine von ihnen hatte je Blut gespendet. „Bist du nicht zu alt?“ fragte mich eine Nachbarin, und ich war ein bisschen beleidigt. Wo doch die übersprungene 50-Jahr-Hürde noch zum Greifen nah ist…

War es Zufall oder nicht? Ein paar Tage später sah ich einen Film im Fernsehen. Eine ältere Frau stand vor dem Spiegel und betrachtete kritisch ihr Gesicht. Ich bin alt geworden, sagte sie zu dem Mann. Was für ein Quatsch, antwortet der Mann, du bist doch nicht alt, wenn man noch mit 65 Blut spenden kann. Das nahm ich als persönliches Zeichen.

Beim nächsten Termin, den die Plakate ankündigten, stand ich vor der Festhalle, in der die Spendenaktion stattfand. An einem Tisch in der Vorhalle saßen mehrere Menschen mit Listen. „Wann ist Ihr Termin?“, wurde ich gefragt. Ich hatte keinen. In Zeiten von Corona müsse man vorher seine Zeit im Internet reservieren, wurde ich belehrt. Das hatte ich auf den Plakaten überlesen. Ich konnte wieder gehen.

Einen Monat später war ich richtig vorbereitet. Ich hatte einen Termin für 16 Uhr gebucht. Von den beiden Damen am Empfangstisch wurde ich herzlich begrüßt. Ich durfte mich bei den Kugelschreibern bedienen, die wie eine ausgezogene Spritze mit einer roten Flüssigkeit – Blut? – aussahen. Dann musste ich ein halben Liter Wasser trinken, auf die Toilette gehen, meine Maske wechseln, ehe ich in den Festsaal treten durfte. Dort sah es aus wie ehedem in unserer Dorfgaststätte – hinten die Bühne, davor links fünf Liegen, auf denen die Blutspender lagen und von zwei Krankenschwestern umsorgt wurden. Rechts an zwei Tischen saßen Männer mit weißen Kitteln. An dem Tisch in der Mitte durfte ich Platz nehmen und den mehrseitigen Fragebogen ausfüllen. Kontaktdaten, Krankheiten, Sexualverhalten, Drogenkonsum – die Fragen waren dezidiert. Manche Frage erschien mir merkwürdig. War ich zwischen 1980 und 1996 in Großbritannien gewesen? Das sei die Zeit gewesen, als auf der Insel BSE gewütet habe, erklärte mir der Mann neben mir. Er erwies sich als alter Hase in Sachen Blutspende und wir kamen ins Gespräch. Toll, dass Sie jetzt zum ersten Mal gekommen sind, sagte er.

Schließlich durfte ich mich zu einem der Männer an den Tisch rechts setzen. Er erwies sich als Arzt und stellte mir all die Fragen, die ich schon schriftlich beantwortet hatte. Dann stach er mir in den Finger, entnahm einen Tropfen Blut und untersuchte ihn. Nein, das wird nichts, sagte er. Mein Hämoglobin-Wert sei zu niedrig. Eisenmangel. Da käme ich als Spenderin nicht in Betracht. Und er zog einen Zettel von einem Stapel und gab ihn mir. Ich müsse vielleicht meine Ernährung umstellen und mehr eisenhaltige Produkte essen, sagte er. Aber wenn ich wolle, könnte ich den Wert von einer der beiden Krankenschwestern noch überprüfen lassen, der Schnelltest sei nicht immer ganz genau.

So schnell wollte ich auch nicht aufgeben. Also durfte ich auf einer der Liegen Platz nehmen, die Schwester untersuchte meinen Venen und nahm mit einer Spritze eine weitere Blutprobe. Das Ergebnis war das gleiche. Sie müssen mehr Lebensmittel mit hohem Eisengehalt essen, sagte sie und drückte mir noch mal die Liste mit Ernährungstipps in die Hand. Lebensmittel mit hohem Eisengehalt. Obenan stand Schweineleber. Es klingt merkwürdig, aber als ich unverrichteter Dinge aus der Festhalle marschierte, fühlte ich mich ein bisschen wie eine Versagerin. Abgehakt als Blutspenderin. „Danke und bis zum nächsten Mal“, sagte die Dame am Eingang freundlich. Und ich dachte grimmig: Hier sieht mich keiner mehr…

Ich hatte die Sache schon vergessen und abgehakt, als ich nun einen großen Umschlag aus dem Postkasten zog. Absender: das Blutspendezentrum in Avignon. Man teilt mir mit, dass meine Blutprobe untersucht worden sei. Auf der zweiten, angehängten Seite waren alle Ist- und Soll-Werte detailliert notiert. Alles ok. Die Ergebnisse seien sehr zufriedenstellend, heißt es im Anschreiben. „So haben wir die Freude, Ihnen mitzuteilen, dass es Ihnen – mit dem heutigen Stand – möglich ist, erneut Blut zu spenden.“ Das muss ich jetzt wohl doch als persönliche Einladung verstehen. Ich habe schon im Internet nachgeschaut, genug freie Plätze gibt es für den nächsten Spenden-Termin noch…

Blutspende