Das Schloss von Thouzon in Le Thor, Juli 2020
Wenn die Sonne nur noch erbarmungslos am wolkenlosen Provencehimmel strahlt, dann sollte man tunlichst das tun, wozu Menschen im Süden dann raten: Siesta halten. Keine gute Idee sind lange Spaziergänge in der Hitze. Wir wollten dennoch endlich mal zum Schloss von Thouzon in Le Thor und waren gerade in der Nähe. Und der Hügel, auf dem die mittelalterliche Ruine thront, ist nicht sehr hoch. Doch es war Mittagszeit. Und so kamen wir auf dem steinigen Weg hinauf durch einen Steineichenwald und Buschland ganz schön ins Schwitzen.
Dafür wurden wir auf der Höhe mit einem frischen Lufthauch belohnt. Vor allem aber mit einem grandiosen Ausblick über die Landschaft, über viel Grün und die letzten Lavendelfelder vor dem Vaucluse-Gebirge und dem Mont Ventoux. Wir konnten gar nicht genug schauen. Dann erst machten wir uns daran, die Ruinen des „Château de Thouzon“, das ursprünglich kein Schloss, sondern ein Kloster war, zu erkunden.
Die ersten Fundamente des ehemaligen Benediktinerklosters entstanden schon im frühen 11. Jahrhundert. Wie müssen die Arbeiter geächzt haben, als sie - vielleicht mit Eselskarren - die großen Steine den Berg hinaufschleppten? Auch für die Esel kein Vergnügen! Mir fehlt das historische Wissen, um mir vorzustellen, wie Menschen vor tausend Jahren so ein Bauwerk geplant und errichtet haben. Und auch, wie sie darin lebten…
Von den mittelalterlichen Bauten auf dem Berghügel stehen heute noch die gewölbte romanische Kirche und eine kleine Kapelle, einige Steinmauern und in der Mitte des Innenhofes eine in Fels gegrabene Zisterne. Und zwei Türme. Denn im Laufe des 13. Jahrhunderts wurde das Kloster als Befestigungsanlage mit vier Flügeln und einer doppelten Umfassungsmauer ausgebaut, um es gegen Angriffe und Plünderungen zu schützen. Für die Bewohner von Le Thor zu Füßen des Hügels bot die Anlage in bewegten Zeiten immer wieder Zuflucht. Drei aufeinander folgende Tore musste der Besucher durchschreiten, um in den Hof zu gelangen. Das Eingangstor wurde von Bogenschützen bewacht, wie Reste der Schießscharten belegen.
Ein frischer Wind weht zu dieser Mittagsstunde durch die Ruinen. Tauben gurren, die Zikaden zirpen, aber sonst ist es still. Man fühlt sich der ganzen Welt entrückt. Das wäre ein schöner Platz für ein Picknick mit Blick über das Tal. Das nächste Mal müssen wir rechtzeitig daran denken!
Ende des 17. Jahrhunderts verließen die Benediktiner das Kloster, das schnell verfiel. Heute sind die Ruinen in Privatbesitz. Die Anlage wird von Ehrenamtlichen restauriert. 1987 wurde das Schloss als historisches Denkmal klassifiziert. In einer der beiden Kapellen waren schon 1870 zwei Tafeln eines Altaraufsatzes aus der Zeit Anfang des 15. Jahrhunderts entdeckt worden. Darauf sind Szenen aus dem Leben des hl. Andreas dargestellt. Der Mittelteil des dreiteiligen Ölgemäldes ist verschollen, das „Rentable de Thouzon“ heute im Musée du Louvre in Paris zu besichtigen.
Vielleicht sollten wir nicht nur zu einem Picknick wiederkommen, sondern dem Schloss mal zur dunklen Tageszeit einen Besuch abstatten. Dann könnte, der Legende nach, eine weiße Dame über den Burgmauern erscheinen. Die Minnesänger des Mittelalters haben die Geschichte der wunderschönen Noélie besungen. Sie soll die Tochter des Grafen von Toulouse, Raymond VI., gewesen sein, die Anfang des 13. Jahrhunderts an einen mächtigen Adeligen verheiratet werden sollte. Doch wie das Leben so spielt, schenkte die Holde ihr Herz einem Troubadour. Die beiden nahmen ihr Glück selbst in die Hand und flüchteten, von den Häschern des Grafen verfolgt, ins Schloss von Thouzon. Dort wurden sie immer wieder gesehen, doch sobald ihnen die Verfolger zu nahe kamen, waren sie verschwunden. Gab es einen geheimen Gang, in den sie sich versteckten? Noch heute, viele Jahrhunderte später, soll die helle Gestalt der schönen Grafentochter in klaren Mondnächten durch die Ruinen geistern.
Aber wie das so mit Legenden ist, im Lichte der Forschung verlieren sie an Glanz. Diese Legende hat anscheinend nicht mal einen wahren Kern. Raymond VI. jedenfalls hatte keine Tochter namens Noélie. Dennoch spannend, die Vorstellung, der Weißen Dame dort mal zu begegnen! Und der Ausflug zum Château de Thouzon war trotz Hitze eine interessante kleine Reise in die Vergangenheit.