Nach der Ausgangssperre, 7. Juni 2020
Wie schmeckt Freiheit? Wie ein frisch gezapftes Bier. Kalt und frisch, das Glas beschlagen. Die Schaumkrone wirft feine Bläschen. Der erste Schluck füllt den Mund und rinnt kalt durch die Kehle, und ein Wohlgefühl bereitet sich im ganzen Körper aus. Die fröhlichen Stimmen der Menschen an den Nachbartischen umschwirren uns. War da was? Nach knapp drei Monaten haben die Restaurants und Bars seit dem 2. Juni in Frankreich wieder geöffnet. Und es fühlt sich ganz so an, als wäre die Corona-Krise nur ein schlechter Traum gewesen.
Der erste Ausflug auf die Bar-Terrasse – davon hatten wir geträumt in jenen Momenten des Lagerkollers der vergangenen Wochen. Nach der strengen Ausgangssperre fährt jetzt das Leben in Frankreich von null auf hundert wieder hoch, so scheint es. Die Bars sind voll, die Menschen stehen dicht gedrängt, und nur eine Minderheit trägt die Maske, die eigentlich vorgeschrieben ist in Situationen, in denen es eng wird.
Und auch auf dem Sonntagsmarkt unseres Städtchens ist heute das Leben zurückgekehrt. Die Stände wurden entzerrt, in den schmalen Gassen stehen sie nicht mehr zu beiden Seiten, sondern nur noch auf der einen. Manche Händler haben Abstandsbänder gespannt und tragen Visiere aus Plexiglas. Doch die meisten sind ganz ungezwungen, ebenso wie die Besucher. Abstandsregeln? Vorsichtsmaßnahmen? Eher keine.
Und doch ist das Markttreiben längst nicht so ungezwungen wie einst. Der Gärtner, der uns einen Topf Kräuter verkauft, ist verhalten. 90 Prozent seiner Tomatenpflanzen musste er wegschmeißen, erzählt er, seine Produktion habe er auf die Hälfte heruntergefahren. Die Wiedereröffnung der Märkte jetzt – ja, schön, aber viel zu spät, findet er.
Die Sonne brennt zur Mittagsstunde, zwischen den Ständen drängt es die Menschen zum Mittagessen in die Restaurants. Die längste Schlange steht bei der Blumenfrau, denn in Frankreich ist heute Muttertag. Und während wir uns einen schönen Platz zu einem Glas Wein ergattert haben, um den Blick auf das bunte und lang vermisste Markttreiben so richtig zu genießen, eilen die jungen Männer mit Sträußen voller Pfingstrosen, Hortensien und mit Orchideen in den Armen nach Hause, wo die Mütter wohl schon mit dem Mittagessen warten. Das ganz normale Leben eben. Aber was ist schon normal?