Es ist Jagdsaison, Februar 2020

 

Schüsse hallen durch die Luft. Daran haben wir uns schon gewöhnt, wenn wir spazieren gehen. Bereits den ganzen Winter über sind, oft schon früh morgens, die Jäger zu hören. Die Franzosen und die Jagd, das ist eine besondere Passion. Aber mittlerweile sorgen in jeder Saison von September bis März spektakuläre Jagdunfälle für negative Schlagzeilen. Vor zwei Jahren etwa wurde in den Savoyen ein Brite auf seinem Mountainbike erschossen – die Schützen hielten ihn angeblich für ein Wildschwein. Was einen Abgeordneten anschließend veranlasst haben soll, auf Twitter darüber nachzudenken, ob man das Mountainbiken während der Jagdsaison nicht einfach verbieten könne.

Ein Wochenende im Winter. Wir wollen einen langen Spaziergang mit dem Hund unternehmen. Aber schon am Parkplatz lassen uns Schüsse und Hundegeheul aufhorchen. Ein Schild an Weg warnt: Vorsicht Jagd. Nichts Ungewöhnliches in Frankreich – in der Saison gehört das Jagdgeschrei allerorten zum Alltag. Nicht nur am Wochenende, auch in der Woche sind schon früh die Jäger in Aktion. Rufe sind zu hören, Hunde bellen, und Vögel fliegen auf. Als wir nach einer Stunde wieder am Parkplatz ankommen, rumpeln zwei Jeeps ganz dicht an uns vorbei. Hinter dem Steuer junge Gesichter, Männer von vielleicht 20, 25 Jahren, auch eine junge Frau. Sie lachen vergnügt. Hinten, auf der Ladefläche, ragen vier schwarzbehaarte Beine in die Luft. Ein riesiges Wildschwein ist die Trophäe dieser Jagd. 100 Kilo mag der Eber vielleicht gewogen haben. Ein Metzger zahlt Jägern pro Kilo Wildschwein 15 Euro, erzählt unsere Nachbarin später.

Beim Thema Jagd sind nicht nur in Frankreich die Geister geschieden. Einerseits kann der Wildbestand ohne eine gewisse „Hege und Pflege“ nicht gesund bleiben. Auf der anderen Seite gibt es in Frankreich wie anderswo jene, die Jagd als Freizeitvergnügen erleben und denen es genauso viel Spaß macht, auf lebendige Tiere zu zielen wie auf die Scheiben einer Schießbude auf dem Jahrmarkt. Die Jagd gilt als ein besonderes bürgerliches Recht des Volkes. Nachdem die Französische Revolution das Jagdvorrecht des Adels abschafft hat, darf sozusagen jedermann nach Lust und Laune mit einer Flinte durch die Wälder laufen. Eine besondere Prüfung bedarf es dafür nicht.

Die Jagdlobby ist stark. 1,2 Millionen Jäger sind in Frankreich registriert, mehr als in jedem anderen europäischen Land. Und seit Emmanuel Macron vor eineinhalb Jahren den Preis für den nationalen Jagdschein von 400 auf 200 Euro senken ließ, haben sich die Anfragen dafür laut „Le Monde“ noch verdreifacht, von 90 000 auf 290 000 im Jahr. Zum Vergleich: Laut Deutschem Jagdverband gibt es 2018/19 knapp 389 000 Jäger, im Verhältnis kommt ein Jäger auf 216 Einwohner - in Frankreich sind es 51.

Doch es rührt sich etwas Widerstand. Nicht alle Franzosen wollen sich die Kugeln ungefragt um die Ohren pfeifen lassen. Bis vor einigen Jahren war es absolut normal, dass Weidmänner überall auf die Pirsch gehen konnten – auch auf privaten Ländereien. Dieses Privileg hob der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mittlerweile auf: Niemand könne gezwungen werden, eine Jagd auf seinem eigenen Grund und Boden zu dulden, so die Begründung.

Nachdem sich seit einigen Jahren zudem die Jagdunfälle häufen, wächst die Anti-Jagd-Lobby. Gerade erst wieder, im November 2019, soll eine hochschwangere Frau in einem Wald beim Spaziergang mit ihrem Hund von einer Jagdmeute überfallen und totgebissen worden sein, das sorgte landesweit für Entsetzen. Vor einigen Jahren wurde eine Frau, die sich in ihrem Garten sonnte, versehentlich erschossen. Ein Departement hat Pilzsucher inzwischen angeraten, fluoreszierende Gelbwesten als Schutz anzulegen, um nicht ins Visier der Jäger zu geraten. Hundefreunde sollten ihren Hunden Glöckchen anzulegen. In der Jagdsaison 2018/2019 meldet der nationale Jagdverband 131 Jagdunfälle, sieben davon waren tödlich.

Kritiker haben im Internet eine Online-Petition (www.mesopinions.com) für eine radikale Reform der Jagd initiiert. Pro Jahr würden rund 45 Millionen Wildtiere erlegt, da seien Kollateralschäden tierischer und menschlicher Art sozusagen vorprogrammiert, heißt es dort. Und: Jagd sei weder ein Freizeitvergnügen noch eine Lebenskunst. In einem Zehn-Punkte-Programm fordern die Organisatoren unter anderem ein Jagdverbot in der Fortpflanzungszeit, ein Verbot tödlicher Fallen und Fallstricke, traditioneller und überholter Jagdmethoden sowie das Schießen mit dem Bogen, mit Lockvögeln oder Frettchen oder mit Steinquetschfallen für Vögel. Zudem wollen sie zwei jagdfreie Tage pro Woche durchsetzen. Knapp 200 000 Franzosen haben schon unterschrieben. Das ist – vergleichsweise – zu wenig, um wirklich etwas zu bewirken. Und so bleibt beim Thema Jagd in Frankreich wohl alles wie gehabt.