Eine heitere Kuchengesellschaft, Januar 2020
Essen gehört in Frankreich zur Lebenskunst. Für die Liebhaber der guten Küche ist das Land zwischen Elsass, Atlantik und Provence das reinste Schlemmerparadies. Doch gerade in der Weihnachtszeit reiht sich eine süße Kalorienbombe an die andere.
Gleich nach Weihnachten hat unser Bäcker seine Kühlvitrine neu bestückt. Die ganze Vorweihnachtszeit über bestaunten wir morgens, wenn wir in der Baguette-Schlange warteten, die wundersamsten Sahnekreationen, die hinter dem Glas aufgebaut waren. Sie hatten alle etwas gemeinsam: Sie sahen aus wie Holzstämme. So heißen die traditionellen Weihnachtskuchen denn auch, Bûche de Noël, zu Deutsch etwa Weihnachtsbaumstamm oder Christklotz. Sie erinnern an das Holzscheit, den man einst am Heilig Abend feierlich im Kamin verbrannt hat. Die Asche wurde anschließend auf dem Feld verstreut – als Dank und als Bitte für eine gute Ernte. Heute hat nicht mehr jeder Franzose einen Kamin und schon gar kein Feld – doch zum Abschluss des Weihnachtsmenus ist der süße Baumstamm ein Muss. Je nach Lust und Talent des Konditors sind die mit Buttercreme gefüllten Biscuitrollen mit Borke und Ästen versehen, manchmal sogar mit Moos, Pilzen und Blättern aus Fondant oder Marzipan.
Schon seit Mitte Dezember mussten sich die Weihnachtskuchen allerdings den Platz in der Vitrine der Konditoreien mit den eher schmucklosen „Gâteau des Rois“ teilen. Bis Ende Januar wird dieser Dreikönigskuchen in ganz Frankreich in verschiedenen süßen Formen und Füllungen verspeist. Im Süden dominiert der Kranz aus Hefeteig (brioche) und kandierten Früchten, im Norden die Variante mit Blätterteig und Mandelfüllung (frangipane), die wie ein gedeckter Apfelkuchen aussieht. Wer seinen ersten Dreikönigskuchen kauft, wird sich wundern: Dazu überreicht die Bäckerin eine Pappkrone. Und in jedem Kuchen wartet zudem eine kleine Überraschung. Denn was jeder Franzose weiß, was aber nicht unbedingt auf der Verpackung vermerkt ist: Der Clou am Dreikönigskuchen ist die Bohne, die mit eingebacken wird. Na ja, Bohnen waren es vielleicht früher einmal. Heute finden sich stattdessen kleine Porzellan-Figürchen, die inzwischen sogar beliebte Sammlerobjekte geworden sind. Also vorsichtig kauen! Traditionell gegessen wird der Kuchen – meist in Begleitung zu einem Glas Cidre - in der Familie, mit Freunden, mit Kollegen.
Wir haben den ersten Dreikönigskuchen dieses Jahres mit unseren Nachbarinnen probiert. Dabei erklärten sie uns die Rituale, die damit verbunden sind. Damit alles gerecht zugeht, setzt sich eigentlich das jüngste Mitglied der Tischrunde – in der Regel ein Kind - unter den Tisch, wenn der Kuchen angeschnitten wird. Wer das Backwerk verteilt, muss bei jedem Stück fragen: Für wen ist dieses Stück? Die Antwort kommt unter dem Tisch hervor. König oder Königin ist dann, wer die Bohne beziehungsweise das Porzellanfigürchen in seinem Stück findet. Der Glückliche darf die Krone aufsetzen. Immer, wenn der König von nun an sein Glas zum Munde führt, ruft die ganze Gesellschaft „le roi boit, le roi boit“ (der König trinkt, der König trinkt) – für Franzosen ist das durchaus ein Zungenbrecher und sorgt mit zunehmendem Alkoholgenuss für gesteigerte Heiterkeit. So kann aus einer einfachen Kuchentafel schnell eine lustige Gesellschaft werden.
Nun, in unserer Nachbarinnen-Runde ging der Tafelgenuss eher gesittet vonstatten. Da schon aus Höflichkeit niemand auf die Idee gekommen wäre, nach dem Alter der zum Teil schon etwas älteren Damen zu fragen, ließen wir Punkt eins stillschweigend unter den Tisch fallen und ersparten es so den Anwesenden, unter eben jenen zu kriechen, um die Kuchenstücke zu verteilen. Wir überließen das dem Zufallsprinzip. Die Bohne entpuppte sich als Figur einer Fischverkäuferin. Statt Cidre tranken wir Wein – und hatten wirklich viel Spaß. Der glückliche König sollte, so sieht es die Regel ebenso vor, bei nächster Gelegenheit die muntere Runde wieder zu einem Gâteau des Rois einladen… Das kann dann bis Ende Januar noch lustig immer so weitergehen.