Der Schwimmende Markt in L'Isle sur la Sorgue, August 2019
Keine Frage: Venedig ist einmalig. Aber wer es etwas übersichtlicher und gemütlicher mag, ist in L’Isle sur la Sorgue gut aufgehoben. Viele kleine Brücken und Stege führen über die Sorgue, die mit vielen Wasserläufen und Kanäle die Inselstadt durchzieht. Nicht umsonst ist das kleine Städtchen als Venedig der Provence bekannt. Und im Sommer wird rund ums Wasser und auf dem Wasser gefeiert!
Die Sorgue ist die Lebensader von Isle sur la Sorgue – heute wie damals. Klar und kalt ist der Fluss, der gerade mal fünf Kilometer entfernt in einer Quelle in Fontaine de Vaucluse aus dem Berg entspringt. Die frische Energie bringt das glasklare Wasser mit in die Stadt.
Kaum zu glauben: Im Mittelalter war die Region ein Sumpfgebiet. Erst nach und nach wurde es durch Kanäle trockengelegt. Die Menschen lebten von dem Fluss und von den Fischen, die darin lebten. Vor allem Krebse sicherten den Lebensunterhalt, bis 1884 eine Epidemie den kompletten Krebsbestand in der Sorgue auslöschte. Schon seit dem 12. Jahrhundert drehten sich die Schaufelräder der Wassermühlen in der Sorgue. Korn-, Öl- und Papiermühlen gehörten zum Stadtbild. Die alten Waschplätze, an denen die Frauen ihre Wäsche wuschen, sind noch heute erhalten. Und als Burggraben um den Stadtwall sicherte die Sorgue den Schutz vor Feinden.
Im Sommer haben in L’Isle deshalb alle Festivitäten und Veranstaltungen irgendwie mit dem Wasser zu tun. In den Ferienmonaten messen sich die Einheimischen bei Nego-Chin-Wettfahrten. Nego Chin heißen die traditionellen Fischerboote mit dem flachen Boden, mit denen schon die Fischer einst in den seichten Gewässern auf Fischfang gingen. Beliebt sind auch die Schifferstechen: In Turnieren treten die Ruderer auf Barken gegeneinander an, um im sportlichen Wettkampf den jeweiligen Gegner mit einem langen Stab ins Wasser zu stoßen. Beim Fischerfest am dritten Sonntag im Juli demonstrieren die Mitglieder der Fischerbruderschaft, mit welchen Praktiken und Werkzeugen die Vorfahren einst auf Fischfang gingen. Eine Woche später ziehen blumenberankte Corso übers Wasser, dessen zauberhafte Figuren an den Karneval in Venedig erinnern.
Und schließlich darf der schwimmende Markt (Marché Flottant) nicht fehlen. Am 1. Sonntag im August zieht er die Besucher neben dem regulären und weithin bekannten Sonntagsmarkt in die Stadt. Die Frauen der Fischereibruderschaft ziehen wieder ihre langen Röcke an und binden sich die Schürzen um, die Männer holen die schwarzen Hosen und weißen Hemden hervor und setzen sich die schwarzen Filzhüte auf. Die Nego Chin werden mit Blumen geschmückt und mit Marktwaren aus der Region befüllt. Die ganze Vielfalt der Natur, mit dem die Provence die Sinne erfreut, ist dabei: Melonen und Knoblauch, Tapenaden, Brot und Wein, Käse und Blumen und Früchte aller Couleur.
Pünktlich um 9.30 Uhr erklingt die Glocke und die Boote gleiten von einem Ufer der Sorgue zum anderen. Sie folgen dabei immer den Rufen der Zuschauer, die die Händler zu sich rufen und die Ware direkt aus dem Booten erhalten. Ein schönes Spektakel, das eigentlich nur durch eines getrübt wird: Durch die vielen anderen Touristen, die ebenso wie wir stundenlang nach einem Parkplatz gesucht haben, um sich dann neben uns am Sorgue-Ufer zu quetschen und zu drängeln. Wenn die Sonne den Zenit überschritten hat, finden sich die schwimmenden Händler und die Markttreibenden gemeinsam zum Abschluss zusammen und singen die provenzalische Hymne, die „Cansoun de la Coupo“.
Folklore pur sozusagen. Die verschiedenen Reiseführer loben denn auch die provenzalische Tradition des Marktes. Der erste schwimmende Markt wurde schon in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts veranstaltet. Die Geschichte ist allerdings ein wenig anders. Die Idee brachte der damalige stellvertretende Bürgermeister mutmaßlich aus einem Thailand-Urlaub mit in die Provence, nachdem er die bekannten schwimmenden Märkte von Bangkok besucht hatte. Eine frühe Form der Globalisierung sozusagen. Und nun gondeln die provenzalischen Händler einmal im Jahr zur Freude der Besucher über die Sorgue – ganz so, als würden sie seit Jahrhunderten nichts anders machen.