Umzug mit zwei Möbelpackern, November 2018

 

Ein anderer Ort, ein neues Leben. Das alte wird hinterhergefahren, der Möbelwagen soll am frühen Morgen kommen. Doch der Tag fängt nicht gut an. Erst ein Anruf von der Spedition, der Truck ist auf der Strecke liegengeblieben, ein Ersatzteil muss erst besorgt werden. Dann ziehen auch noch dunkle Wolken auf. Als am frühen Abend der riesige Lastwagen endlich in der Auffahrt parkt und die beiden Packer die Hecktüren aufhebeln, öffnet auch der Himmel seine Schleusen.

Den beiden Männern scheint der Regen nichts auszumachen. Der Fahrer lacht und schüttelt uns die Hand. Er heiße Michi, stellt er sich vor. Groß, muskulös, nicht mehr jung. Mit seinen hellblauen Augen, dem zerzausten blonden Haar könnte er gut bei Santiano mitspielen. Sein Kompagnon ist kleiner, dunkler und eher zart. Kann er überhaupt schwere Sachen tragen? Er spricht mit Akzent und stellt sich als Jan vor. Wie denn jetzt der Zeitplan sei, wollen wir wissen. Sie müssten durcharbeiten, sagt Michi. Der nächste Termin sei am nächsten Morgen um 9 in einer Stadt 300 Kilometer entfernt.

Also: Das wird eine anstrengende Nacht.

Einen Schrank nach dem anderen, den schweren Sofarahmen und die große Kisten hieven sich die beiden Packer auf den Rücken und tragen unsere freudig erwarteten Habseligkeiten durch den strömenden Regen. Es sieht so leicht aus! Als würde das alles gar nichts wiegen. Doch mit der Zeit wird der Gang der beiden doch sperriger, der Schritt schleppender. Die Männer schwitzen. Ihr Anblick, wie sie mit gekrümmten Rücken durch die Dunkelheit ihre Last schleppen, berührt mich seltsam. Sie ackern sich ab. Mitten in der Nacht. Für uns. Ok, sie werden dafür bezahlt. Aber es fühlt sich nicht gut an.

Stunde um Stunde vergeht, der Lastwagen leert sich nur langsam. Die beiden sind ein gutes Team. Sie reden nicht viel, die Griffe sind aufeinander abgestimmt. Einen Kaffee können wir nicht anbieten, die Maschine ist in einem der vielen Kartons verstaut. Ob sie ein Bier möchten, frage ich Michi, als er eine Zigarettenpause unter dem trockenen Vordach macht. Erst zum Feierabend, wenn alles raus ist, sagt er.

Nachts um zwei schieben die beiden Möbelpacker die letzte Kiste über die Schräge. Sie sind nass vom Regen und vom Schweiß. Ob sie vielleicht mal kurz duschen dürften, fragt der Fahrer. Alle haben wir müde Augen und sind doch irgendwie aufgedreht, als wir schließlich in der Küche auf den Bänken um den Tisch sitzen. Jan öffnet seine Bierflasche mit einem Schraubenzieher. Michi zieht unseren Rotwein vor. Aus einer der Kisten, auf denen „Küche“ steht, haben wir ein paar Gläser hervorgekramt. Wir stoßen miteinander an. Vor acht Stunden kannten wir uns noch nicht, und nun sitzen wir zusammen und fühlen uns nach der Anstrengung irgendwie nah.

Michi erzählt von den Ländern, durch die er jede Woche fährt. Doch richtig gesehen hat er sie nicht. Er kennt die Autobahnen und er kennt die Landschaften, die am Straßenrand vorbeiziehen. „In die Städte kommen wir ja kaum.“ Und Zeit für einen Touristenbummel gibt es sowieso nicht. Die beiden Männer beantworten breitwillig unsere Fragen. Für die internationale Spedition, für die sie arbeiten, sind sie fünf Tage die Woche in ganz Europa unterwegs. Von Norwegen fahren sie nach Italien, um dann vielleicht über Spanien wieder nach Norddeutschland zurückzukehren.

Der eine ist als Fahrer, der andere als Packer eingestellt. Dass der Fahrer trotzdem mit anpacken muss, verstehe sich in diesem Job von selbst, sagt Michi. Dafür erhalte er mehr Geld. „Ich könnte mich auch als Fahrer einstellen lassen, aber dann müsste ich noch mehr arbeiten, für nurn wenig Geld mehr, das bringt mir nichts“, sagt Jan. Dann sitze er lieber entspannt neben dem Fahrer, spiele mit seinem Handy oder schlafe. Der gebürtige Pole hat eine italienische Frau und erzählt stolz von seiner fünf Monate alten Tochter. Er sieht sie nur am Wochenende. Ewig wolle er in diesem Job nicht arbeiten. Dann prostet er uns zu.

Michi hat ebenfalls eine Tochter, sie ist 15. Seine Frau hat sich von ihm getrennt. Das Familienleben habe nur am Wochenende stattgefunden, und oft, wenn der Job es wollte, musste er auch dann noch arbeiten. Jetzt lebe er wieder bei seinem pflegebedürftigen Vater, erzählt der Möbelpacker. Aber er habe eine neue Freundin. Er lacht etwas verlegen, blickt auf sein Handy – sie hat den Abend über mehrmals vergeblich versucht, ihn zu erreichen. „Da ist heute Alarmstufe rot.“

Die zweite Flasche Wein wird geöffnet, auch Jan gießt sich jetzt ein. Wir haben nichts gegessen, der Alkohol steigt uns in den Kopf. Die beiden Männer kommen in Erzähllaune. Möbelpacker lernen viele Häuser und die Menschen, die darin leben, kennen. Sie sehen, was unter den Betten liegt und hinter den Schränken steht, erzählen von vermüllten Wohnungen und von der Millionärin, die alle zwei Jahre in eine neue Villa zieht. Wie hält man die Plackerei und diese Arbeitsbedingungen aus? Manchmal liegen bei ihm die Nerven bloß, gesteht Michi. Da habe er sich bei einer privaten Gelegenheit irgendwann nicht mehr beherrschen können, als er angegriffen wurde, er habe die Fäuste eingesetzt. Dafür habe er drei Jahre im Gefängnis gesessen. Aber das sei eine andere Geschichte.

Es ist drei, als die beiden sich schließlich verabschieden. Sie wollen sich noch mal kurz aufs Ohr legen, sagt der Fahrer, um sich dann um 6 wieder auf den Weg zu machen. Am nächsten Morgen ist die Auffahrt leer. Ich muss eine Kopfschmerztablette nehmen. Der Abend ist noch ganz nah. Er war, neben aller Anstrengung, besonders. Unvergesslich. Seither ertappe ich mich dabei, dass ich zu den Fahrern in ihren Kabinen hinaufsehe, wenn ich auf der Straße einen Truck überhole.

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