In einer alten Ente durchs Vaucluse, September 2025

 

Ein Baguette, eine Flasche Crémant und eine alte Ente, mehr französisches Lebensgefühl geht nicht! Baguette und Crémant im Picknickkorb warten im Kofferraum nur darauf, dass wir den schönsten Picknickplatz finden, während wir mit Irène schmale und kurvige Bergstraßen hochtuckern. „Das schaffst du, Irène“, feuern wir die alte Ente an. Kein GPS, keine Geschwindigkeit, kein Radio, keine Klimaanlage, doch dafür kutschieren wir auf weicher Federung durch die Landschaft, der Wind weht uns um die Nase und die Sonne scheint uns ins Gesicht. Es lebe das Leben, vive la France!

Zu viert sitzen wir in dem automobilen Wahrzeichen Frankreichs. Unser orange-weißer Citroën 2CV ist aus dem Baujahr 1986. Das Model ist eine Mischung aus der Baureihe Spot und Spécial, wie uns der Autovermieter bei der Einweisung erklärt hatte. In der Autoflotte, aus der wir wählen durften, heißt sie „Irène“, und wir haben uns gleich in sie verliebt. Sie hat wunderschöne Kuller-Scheinwerfer. Ihre Sitzpolster sind dottergelb.

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Bei der Einführung rollen wir das Verdeck nach hinten, denn es ist ein sonnig-warmer Tag. Der bärtige junge Mann zeigt uns, wie man die Fenster hochklappt und die Revolverschaltung bedient. „Immer mit Gefühl. Und niemals in den ersten Gang schalten, wenn der Wagen noch rollt“, belehrt er Frank, der das Steuerrad übernehmen will. Dann klettern wir hinein. Ich setze mich auf den Rücksitz und versinke in dem Polster wie in einem alten Kinosessel. Und los geht es: Mit Gefühl legt Frank den Gang ein, tritt die Kupplung, der Motor knattert los und wir schaukeln mit dem Zweizylinder-Boxermotor vom Hof.

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Es war unser Freund, der sich für diese Tour begeistert hat. In Gedanken an längst vergangene Jugendtage hatte er die Idee, die Nostalgie der Entenjahre wieder lebendig werden zu lassen. In L’Isle sur la Sorgue gibt es eine Autovermietung, die sich auf die Oldtimerklassiker spezialisiert haben. Einen Picknickkorb kann man gleich mit mieten. Mit großer Nachfrage.

Wir haben unser eigenes Picknick dabei, das Benzin reicht für 400 Kilometer. Die werden wir in vier Stunden nicht schaffen. Mit 50 Kilometer die Stunde juckeln wir über die Landstraße Richtung Fontaine de Vaucluse. Hinter uns stauen sich die Autos. Aber keiner hupt, immer wieder winken uns stattdessen die Fahrer beim Überholen fröhlich zu oder heben den Daumen.

In Richtung Saumane wird die Straße steiler, der Citroën 2CV meistert bravurös mit 30 Sachen die Kurven. Umkippen fast unmöglich, wie jeder Enten-Fahrer weiß. Frank fährt im zweiten Gang, „anders packt sie es nicht“, sagt er. Aber das macht nichts: Wir genießen die herrlichen kleinen Straßen der Provence. Lange, von Platanen gesäumte Alleen, kleine Wege, auf denen uns kaum ein Auto entgegenkommt, Weinberge, abgeerntete Lavendelfelder, Olivenbäume und Steineichen, und immer wieder duftet es würzig nach Thymian und Pinien. Das ist französische Gemütlichkeit. 

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Gemütlich sollte die Ente im Sinne der Erbauer auch sein, ein Auto für die einfachen Leute. Eins, das preiswert im Unterhalt ist, in dem zwei Bauern mit Gummistiefeln, Kartoffeln und Wein sich wohlfühlen und in dem auch ein Korb voll mit Eiern unbeschadet über holprige Feldwege transportiert werden kann. Als die ersten Deuche, wie die Ente in Frankreich heißt, 1949 auf dem Pariser Autosalon vorgestellt wurde, sorgte das Vehikel mit der eigenwilligen Form eher für Verwunderung. Das änderte sich schnell: Was den Deutschen der VW Käfer, das ist den Franzosen ihre Deuche. Oder Döschwo, wie die Franzosen sagen. Sie ist Kult auf vier Rädern: 2002 wurde sie in Frankreich zum Auto des Jahrhunderts gewählt. Dabei lief schon im Juli 1990 der letzte Wagen in einem Citroën-Werk vom Band.

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Bequem ist es auf dem Rücksitz unserer Irène. Wie im Kino verfolgen wir die Landschaft, die vorbeizieht. Von La Roques sur Pernes haben wir einen großartigen Blick auf den weißen Gipfel des Mont Ventoux. Es geht bergauf, selbst Radfahrer kann Irène nur prustend überholen. Dafür gibt es Beifall. Die Straße nach Le Beaucet ist gesperrt, wir müssen den Umweg über Saint-Didier nehmen, vorbei an der mächtigen alten Klosteranlage von Notre-Dame de Sainte-Garde.

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Zur späten Mittagsstunde erreichen wir das schöne alte Dorf Venasque mit seiner Stadtmauer und den Türmen auf einem Felsgipfel. Die letzten Höhenmeter haben Irène wohl den Rest gegeben, der Motor ist zu heiß geworden und beginnt zu stinken. Also sollten wir alle mal rasten. Auf dem Parkplatz stellen wir uns neben einen Peugeot mit Pariser Kennzeichen und laufendem Motor für die Klimaanlage, eine Frau sitzt darin und picknickt.

Wir schließen Irène nicht ab. Davon hatte uns der Autovermieter abgeraten: „Wenn jemand rein will, kommt er leicht hinein.“ Also bleibt auch das Verdeck offen. Für ein Erfrischungsgetränk kommen wir zu spät, das einzige Bistro, auf dessen Terrasse gerade die letzten Mittagessen abgeräumt werden, schließt gleich. Also schlendern wir nur durch die engen Gassen, werfen einen Blick in die alte Kirche Notre-Dame und setzen uns auf die Stadtmauer, um über die Weite des Vaucluse-Gebirges zu schauen.

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Den Berg wieder hinunter zu fahren, ist eine Freude, Irène ist mit ihren 24 PS keineswegs eine lahme Ente. Unsere Höchstgeschwindigkeit erreichen wir auf einer ebenen Straße mit 69 Kilometer die Stunde. Wir fahren nach Gordes und parken auf dem Marktplatz, Passanten bleiben immer wieder stehen und fotografieren die orange-weiße Ente. Wir dagegen kehren in den Cercle Républicain ein: Das Café am Hang hat den schönsten Blick den Berg hinunter und über die weite Ebene auf den Luberon.

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Dieser Ausblick ist auch ein Geschenk. Da wir unseren Oldtimer vollgetankt zurückbringen müssen, halten wir noch in Coustellet an der Tankstelle. Irène ist genügsam, nur 3,80 Euro beträgt die Tankrechnung. Jetzt haben wir unser Ziel des Tages auch gleich erreicht. Hinter Lagnes liegt auf einer Anhöhe des Vaucluse „La Tête du Soldat“, ein Rastplatz mit Steinbänken und –tischen. Wir parken Irène und holen unser Picknick heraus. Baguette, Crémant, Tapenaden aus Oliven und getrockneten Tomaten, ein kleiner Mandelkuchen… Und dabei der Blick über Weinberge, Olivenhaine, die Hügelebene. Wir fühlen uns alle ganz entschleunigt! Wie schade, unsere Tour ist schon fast zu Ende.

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Frank fährt ganz geübt, die Revolverschaltung ist kein Problem. Auf den letzten Metern hupt er ein letztes Mal im Übermut – quakquaak -, dann biegt er knatternd auf den Hof von „2CV en Provence“, wo Irène wieder in die Reihe der alten Enten ihren Platz einnehmen wird. Mit ihren fast 40 Jahren hat sie sich heute tapfer gehalten! Au revoir, Irène, es war uns eine Freude – und wer weiß, vielleicht sehen wir uns mal wieder?

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