L'Isle sur la Sorgue, 29. März 2025
Was gibt es Schöneres als einen Sonnenaufgang? Wenn die ersten Sonnenstrahlen sich am frühen Morgen durch die Dunkelheit tasten, sich ein goldenroter Ball über den Horizont schiebt und die Nacht verabschiedet. Der Sonnenaufgang, Tag für Tag, für den Neuanfang, für Aufbruch, für Inspiration und Erleuchtung. „Denn immer, immer wieder geht die Sonne auf, und wieder bringt ein Tag für uns ein Licht…“, sang einst Udo Jürgens. Wie könnte es auch anders sein: Ein Morgen, an dem die Sonne plötzlich nicht mehr aufgeht? Unvorstellbar! Und doch kommen mir an diesem Tag seltsame Gedanken in den Kopf, während ich nach oben schaue, wo für die Mittagszeit ein seltenes Naturphänomen angekündigt ist: eine partielle Sonnenfinsternis.
Das himmlische Spektakel ist inzwischen gut erforscht und wird frühzeitig angekündigt. In alten Zeiten reagierten die Menschen hingegen mit Angst und Schrecken, wenn der Lichtschalter am Himmelshorizont sich von einem Moment zum anderen verdunkelte… War das nicht ein Zeichen für den göttlichen Zorn oder ein Vorbote für Unglück und Tod?
Diese Sonnenfinsternis heute soll nur eine partielle sein, die Sonne wird nicht vollständig vom Mond verdeckt. In der Provence werden rund elf Prozent der Sonnenscheibe verschlungen. Je weiter nördlich man sich befindet, desto größer ist die Verdunkelung: So werden zum Beispiel über Hamburg rund 21 Prozent, in Grönland rund 80 Prozent der Sonne vom Mond verdeckt. Und, erstaunlich: Sonnenfinsternisse sind gar nicht so selten, informiert die regionale Tageszeitung „La Provence“. Für das 21. Jahrhundert listet Wikipedia insgesamt 224 auf. Man muss einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, und das ist wiederum doch nicht so leicht.
Also, die Aussichten sind gut, nur einige Schleierwolken schieben sich zur Mittagszeit über dem blauen Provencehimmel. Dennoch ist natürlich Vorsicht geboten: Auch bei bewölktem Himmel sollte man niemals mit bloßem Auge in die Sonne schauen, sonst kann die Netzhaut verbrennen. Um Sonnenfinsternisse oder andere Phänomene zu beobachten, gibt es zertifizierte Lichtschutzbrillen. Aber ist das nicht eigentlich seltsam: Die Sonne, Quelle all unseres Lebens, ist zugleich eine riesige beständige Gefahrenquelle über unserem Kopf, der wir niemals ins Gesicht schauen dürfen?! Das ist doch paradox, eine faszinierende Gegensätzlichkeit.
Ohne Sonne kein Leben. Die Sonne ist Licht- und Lebensspender, Quelle jeder Energie. Ein gigantischer glühender Ball aus Gas, bestehend hauptsächlich aus Wasserstoff und Helium. Rund 149 600 000 Kilometer von uns entfernt. Ohne ihr Licht könnten die Pflanzen keine Photosynthese betreiben, keinen Sauerstoff produzieren. Seit Menschengedenken wird die Sonne als göttlicher Heiler verehrt, quer durch alle Kulturen ist sie das Symbol für Kraft und Leben. Sonnenstrahlen stehen für Licht, Energie und spirituelle Erleuchtung, für Vitalität und Schöpfung. Als Zentralgestirn unseres Sonnensystems bedeutet die Sonne das Göttliche, das universelle Bewusstsein.
Mit Ehrfurcht muss man ihr also begegnen, aber auch mit Vorsicht! Denn zugleich ist dieses lebensnotwendige Licht für uns eine tödliche Bedrohung. Es verursacht Dürre, Klimaschäden, Hitzetod, Hautkrebs. Extreme Sonnenstürme können Satelliten, Stromnetze und moderne Technologien außer Betrieb setzen. Und irgendwann – in einigen Milliarden Jahren – wird die Sonne verglühen. Ja, dann hat Udo Jürgens nicht mehr recht, dann geht die Sonne eines Morgens nicht mehr auf. Und das Leben auf der Erde… ? Das sind düstere Gedanken.
Die partielle Sonnenfinsternis zu dieser Mittagsstunde gestaltet sich dagegen wenig spektakulär. Hinter Wolkenschleiern ist die Sonne vielleicht angeknabbert, aber sehen kann ich es ohne Spezialausrüstung nicht. Und dann strahlt sie einfach wieder ganz unschuldig am Firmament. Wie heißt der Spruch? Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich. In dem Sinne: Einen schönen sonnigen Tag allen noch!