L’Isle sur la Sorgue, Februar 2025
In wohl jedem Menschen gibt es eine Sehnsucht nach Stille, nach Schweigen. Liegt es am Alter, dass diese Sehnsucht immer größer wird? Früher war mir die Stille zu laut, zu bedrohlich – und ich fühlte mich einsam, wenn nicht irgendwo eine andere Stimme zu hören war oder Musik erklang. Das Radio lief immer. Und heute? Drehe ich immer häufiger den Schalter aus und hoffe, dass die Stille zu mir spricht. Die Momente sind noch selten, in denen ich wirklich das Gefühl habe, es ist die Stille aus meinem Innern, und nicht die Stimme aus dem Kopf, die sich dann meldet.
Aber ist das immer so leicht zu unterscheiden? Laut Wissenschaft ziehen rund 60 000 Gedanken täglich durch mein Hirn, neuere Forschungen sprechen nur von 6000. Egal, die Menge ist gigantisch – es reicht, dass ich das Gefühl habe, dass in meinem Kopf nie Ruhe einkehrt. Und wie oft ertappe ich mich, dass ich die immer gleichen Gedanken wiederkäue!
Dabei ist es gar nicht wichtig, dass es um mich herum still wird. Ohne Lärm keine Stille: In einer dualen Weltsicht ist das eine ohne das andere nicht möglich. Der norwegische Abenteurer Erling Kagge (*1963) erlebte, als er auf Skiern allein die Antarktis durchquerte, eine „ohrenbetäubenden Stille“. Ich stelle sie mir klopfend in meinen Ohren vor!
Stille ist immer da. Es genügt, an sie zu denken. Eine Schneelandschaft zum Beispiel gibt mir das Gefühl der Lautlosigkeit. Der Blick über einen ruhigen See. Oder auch das kleine Gedicht des japanischen Dichters Matsuo Bashõ (1644-1694):
Der alte Teich.
Ein Frosch springt hinein –
das Geräusch des Wassers.
Vor meinen Augen kräuselt sich das Wasser und zieht kleine Kreise. Die Stille des Nachmittags scheint unberührt. War da was?
Es gibt eine Unmenge an Büchern über Stille, über Meditation, Schweigen. Doch die wahre Stille bedarf keiner Worte, man muss sie wohl fühlen, erleben. Wie die Wunder der Welt, die uns umgeben: Wem es gelingt, die Magie des Lebens in jedem Moment neu zu entdecken und zu staunen, findet auch zu einer inneren Gelassenheit im Geist. Im Staunen liegt eine Gedankenleere, eine Ehrfurcht. Wie soll man sie beschreiben?
Laut Wikipedia leitet sich von der „Stille“ das Verb stillen ab: Der schreiende Säugling, der eben noch lautstark seinen Hunger in die Welt geschrieben hat, wird still und trinkt – er ist in Frieden mit der Welt und satt. Eine schöne Vorstellung: Wer in der Stille ruht, ist erfüllt in jeglicher Hinsicht.
Merkwürdig nur: Stiller als still ist nicht mehr von dieser Welt. Das ist die Totenstille. Fürchten wird die Stille deshalb insgeheim?
Viele Worte hier um etwas, das doch nicht gesagt werden kann. An diesem sonnig-stillen Sonntagsnachmittag, während die Spatzen im Baum lärmen, fällt mir die Dichterin Mascha Kaléko (1907-1975) ein. Sie schrieb „Mein schönstes Gedicht“.
Mein schönstes Gedicht?
Ich schrieb es nicht.
Aus tiefsten Tiefen stieg es.
Ich schwieg es.