Domaine de la Citadelle, Ménerbes, Oktober 2024
Wenn es einen Ort gibt in der Provence, der genau so ist, wie die Menschen sich ein provenzalisches Dörfchen vorstellen, dann ist das wohl Ménerbes. Denn fast jeder hat in den 1980er Jahren Peter Mayle und sein „Jahr in der Provence“ gelesen. Danach war es dort lange Zeit mit der südfranzösischen Ruhe vorbei. Dennoch: Ménerbes gehört zu den schönsten Dörfern im Luberon – mit vielen schönen Winkeln und Ecken. Dazu gehört die Domaine de la Citadelle – ein biologisch bewirtschaftetes Weingut, das der Filmproduzent Yves Rousset-Rouard 1989 am Fuß von Ménerbes gegründet hat. Rousset-Rouard, der vor zwei Jahren das Weingut mit allem Drum und Dran verkauft hat, war auch viele Jahre Bürgermeister in Ménerbes. Der Wein war seine eine Leidenschaft. Als er dann über dem Herrenhaus sechs im Wald verborgene Trockensteinmauern aus dem 18. Jahrhundert wiederentdeckte, erfüllte er sich einen weiteren Traum: Er schuf einen wunderschönen botanischen Garten – ein toller Geheimtipp für alle, die die Schönheit der Natur und ihre Stille suchen.
Einen botanischen Garten sollte man vielleicht besser im Frühling oder Sommer besuchen. Jetzt, an diesem warmen und sonnigen Oktobersamstag, strahlt die Herbstsonne bereits mit goldenen Charme, und das hat auch seinen Reiz. Der Weg zum Garten führt den Berg hinauf durch einen Wald aus Steineichen und Haselnusssträuchern, am Wegrand wachsen große Pilze. Wie ein grünes Schmuckkästchen thront der Garten auf den Anhöhen. Über sechs Terrassen erstreckt sich das fünf Hektar große Areal, auf dem über 400 verschiedene aromatische, medizinische, essbare und magische Wildpflanzen in hölzernen Hochbeeten wuchern. Der Himmel ist heute blau, keine Wolke trübt den Blick auf das Vaucluse-Gebirge, den Kalkgipfel des Mont Ventoux und über die Weinberge. Die perfekte Szenerie!
Im Aromagarten kommt uns vieles bekannt vor. Schon seit der Antike bedient sich die Volksmedizin der Pflanzen als Heilmittel für alle möglichen Beschwerden des Menschen. Und wie sie duften! Thymian natürlich, Lavendel, Minze und Rosmarin. „Fühlen Sie sich frei, mit Ihren Händen durch die Blätter zu streichen, die Sie sogar leicht zerknüllen können“, lautet die Aufforderung für die Besucher, und so ertasten und erschnuppern wir uns durch jedes neue Beet. Besonders intensiv ist das Zitronengras und der Salbei. Die Pimpernelle mit viel Vitamin C, auch Kleiner Wiesenknopf genannt, hat etwas Gurkenartiges an sich, gut für Salat. Und Curry-Kraut riecht – nun ja – nach Curry.
Es ist nicht immer einfach, die französische Beschriftung und die lateinischen Namen in unsere deutsche Pflanzenkunde zu übersetzen. Wir entdecken Bisongras und die verschiedensten Sorten von Oregano. Shiso heißt das „Basilikum der Japaner“ mit einem leicht pfeffrigen, exotischen Geschmack nach Kümmel, Minze und Koriander. Es gilt als krampflösend, abführend und schleimlösend. Mir gefällt am besten die Schokoladenkosmee mit ihren feinen dunkelschwarz-roten Blüten, die tatsächlich einen leichten Schokoladenduft verströmen. Die Pflanze stammt weltweit von einem einzigen Klon, informiert die Tafel.
Es gibt auch Schokoladenminze, aber noch viel mehr: Ein ganzes Sortiment an Minzkonfekt mit Pfefferminze, Acker-Minze, Grapefruitminze, Hirsch-Minze. Die Blätter der Bananen-Minze duften tatsächlich nach reifen Bananen. Manche Beete sind sehr adrett, und in manchen wuchert es wild. „Hier ist es die Pflanze, die sich durchsetzt! Der Mensch ist nur der Diener und die verrinnende Zeit sein Verbündeter“, sagte Yves Rousset-Rouard über seine Arbeit.
Und der Geruchssinn bleibt aktiv: Lakritz-Tagetes riecht wie erwartet, Ananas-Salbei ebenso. Und das Cola-Kraut erinnert an die kleinen Happy-Cola von Haribo. Die Austernpflanze soll einen fischigen Geschmack haben, wir haben sie nicht probiert. Bei den essbaren Wildpflanzen kenne ich einige als Unkraut aus meinen Beeten. Echter Baldrian, Beinwell, Veilchen wachsen in den Holzkübeln. Käsekraut ist eine schöne Pflanze, weltweit als Heil- und Würzpflanze beliebt, bei uns jedoch noch nicht so bekannt. Der Geschmack soll an Camembert oder gut gereiften Bergkäse erinnern, weshalb Hobbyköche es gerne verwenden.
Manches haben wir schon mal gehört, vieles ist neu. Brennnesseln enthalten angeblich achtmal so viel Vitamin C wie Zitrusfrüchte, dreimal so viel Eisen wie Spinat, so viel Kalzium wie Käse. Baldrian wirkt als Antidepressivum oder gegen Angstzustände und wird in höheren Dosen als Schlaf- und Beruhigungsmittel genutzt. Ebenfalls das hübsche Johanniskraut mit seinen sternförmigen gelben Blüten. Früher galt es als magische Pflanze, ein Teufelsaustreiber.
Der Sonnenhut - Echinacea - stammt ursprünglich aus Nordamerika und wurde von den Komantschen und Sioux zur Heilung von infizierten Wunden oder Schlangenbissen verwendet. Und als echte Landapotheke galt schon früher der Schwarzer Holunder, der von der Weltgesundheitsorganisation in seiner traditionellen Verwendung zur Bekämpfung von Fieber, zur Linderung von Erkältungssymptomen und als Schleimlöser bei kleineren Bronchialinfektionen anerkannt ist.
Zu allen Zeiten haben auch Magier und Zauberer ihre Macht auf die geheimnisvollen Kräfte der Natur gestützt. Die magischen Pflanzen bilden den Abschluss: Aphrodisiaka, Liebestöter und Pflanzen, die mit weißer oder schwarzer Magie in Verbindung gebracht werden. Im Mittelalter wurden sie zu Salben oder Tränken verarbeitet, wenn sie Segen oder Fluch spendeten. Der Mohn gehört dazu, Löwenzahn und Stechäpfel.
Auch Helleborus, bekannter als Nieswurz oder Christrose: Wenn eine Blume mitten im Winter blüht, kommt das den Menschen wunderlich vor. Im Mittelalter wurde die Christrose in Hexensalben gemischt, die ewige Jugend versprachen. Und: Sie ist giftig. Ebenso manche der Nachbarpflanzen, die ebenfalls mit Warnhinweis versehen sind: Tunlichst nicht berühren! Hundszunge und Teufelshorn zum Beispiel, Fingerhut und Schwarze Tollkirsche. Und dann gibt es noch die Karnivoren, die fleischfressenden Pflanzen. Die Venusfliegenfalle mit kleinen und großen Fangfallen füllt ein ganzes Beet.
Über eine Stunde spazieren wir an den Hochbeeten entlang. Doch allein schon für den Blick aus dem Garten über das Dorf und die Berge ins Tal lohnt sich dieser Spaziergang!
Wenn man noch länger bleiben möchte, bietet sich nun eine Weinverkostung an. Oder ein Besuch des Museums, des Musée du Tire-Bouchon. Denn nicht zuletzt hatte Yves Rousset-Rouard noch eine weitere Passion: Er sammelte Korkenzieher. Sein einmaliges Sortiment umfasst rund 1200 historische Exemplare ab dem 17. Jahrhundert. Aber das ist noch mal eine ganz andere Geschichte wert…
Domaine de la Citadelle, 601 Route de Cavaillon, Ménerbes https://www.domaine-citadelle.com/