Robion, Februar 2024
Der letzte Weg eines Menschen, er führt, traditionsgemäß, auf einen Friedhof. Südfranzösische Friedhöfe sehen ein bisschen anders aus als deutsche. Grüne Pflanzen und frische Blumengestecke sind – vielleicht wegen des Klimas – eher selten. Stattliche Schreine, steinerne Gedenktafeln, Blumengestecke aus Porzellan und monumentale Grabplatten aus Marmor oder Granit dominieren. Die kleinen Gedenktäfelchen werden oft mit Fotos der Verstorbenen geschmückt, mit Herzen und Bibelsprüchen. Der alte Friedhof in Robion ist so ein Friedhof, der zu einem besonderen Spaziergang durch die alte Zeit einlädt: Dort erzählen die verwitterten Grabsteine auf ihre Weise von den Verstorbenen, von ihren Berufen und Vorlieben, von ihrem Leben.
Der Friedhof liegt nicht direkt bei der Kirche, sondern ein bisschen abseits am Dorfausgang von Robion, einem kleinen mittelalterlichen Dörfchen am Fuße des nördlichen Luberon-Gebirges. Gleich gegenüber teilt sich die Dorfpolizei mit dem medizinischen Zentrum einen Bau. Der älteste Teil des Friedhofs wurde ab 1835 belegt: Riesige Grabkammern und Stelen, große Granitplatten, Reliefs. Kein Wunder: Im Nachbarort Les Taillades war früher ein großer Steinbruch, der im 19. Jahrhundert abgebaut wurde und der bei den Steinmetzen in der Umgebung für reichlich Arbeit gesorgt haben wird.
Ihre Arbeiten sind auf dem alten Friedhof zu finden. Ein Spaziergang zwischen den Grabreihen hindurch ist wie eine Entdeckungsreise: Überall finden sich Darstellungen, die manchmal Rätsel aufgeben und die auf persönliche Weise für die Verstorbenen stehen. Kranzdarstellungen natürlich, architektonische und florale Schmuckelemente. Aber noch viel mehr als der übliche Grabschmuck: Ein Bund Spargel zum Beispiel, eine Knoblauchknolle oder eine Getreidegarbe erinnern an die harte Arbeit in der Landwirtschaft. Weintrauben erzählen von den Winzern.
In den Familien Porte und Revol waren die Verstorbenen passionierte Jäger, sie haben ein Gewehr auf ihren Grabplatten verewigen lassen. Eine besonders auffällige Darstellung haben die Hinterbliebenen von Édouard Ricaud gewählt, wo eine elegante Jagdtasche mit Bommeln mit zwei gekreuzten Waffen zu sehen ist.
Die Menschen in Robion lieben die Musik: Die Lyra ist ein wiederkehrendes Symbol dafür auf den Grabsteinen.
Fast antik wirkt die Darstellung eines Karrens mit einem großen Rad auf einer Stele, unter der wohl ein Stellmacher ruht.
Ein paar Gräber dann ein eigentümliches Relief, ein Pinsel mit Schüssel und Kämme sprechen für einen Barbier oder Friseur. Auch ein Steinmetz hat seine Spuren hinterlassen: Er hat Zirkel, Winkel und anderes Werkzeug für immer aus der Hand gelegt.
Die Sonne scheint an diesem frühen Frühlingstag, die Vögel zwitschern und der Granit dieser steinernen Gräberlandschaft hebt sich hell vor dem blauen Himmel hervor. Verwitterte Namen erinnern an jene, die hier ihre letzte Ruhestätte unter dem provenzalischen Himmel gefunden haben. Ein Friedhof ist immer ein seltsamer Ort. Aus dem Leben gefallen sozusagen. Wer zwischen den Gräbern spaziert, dessen Gedanken gehen ebenfalls seltsame Wege. Einerseits in die Vergangenheit, zu jenen, von denen an diesem Platz nur wenig übriggeblieben ist. Wer mögen sie gewesen sein? Wie haben sie gelebt? Wie sind sie gestorben? Andererseits ist jeder Friedhof natürlich ein Memento mori, ein mahnender Fingerzeig, der jeden Besucher an die eigene Sterblichkeit erinnert: Wo werde ich einst mein Ende finden?
Auf dem neuen Friedhofsteil ein paar Grabreihen weiter sieht es anders aus, die Grabsteine sind niedriger und kleiner, Marmor und auch Beton dominieren. Aber selbst dort sind die Grabinschriften zum Teil sehr individuell. Der Grabstein einer jungen Frau, gerade Mitte 20, trägt die Gravur eines Lkws neben ihrem Namen. Auf den Grabtafeln davor sind Fotos von ihr mit Schwerlastern zu sehen. Auf anderen Grabplatten ein Traktor, ein Oldtimer, ein Segelboot und die Darstellung eines Skisfahrers. Und überall: Porzellanblumen. Herzchen und Erinnerungssprüche jener, die die Erinnerung nicht vergessen wollen. Ein Ort für die Toten und für die Lebenden. Eine Grabplatte ist abgehoben und geöffnet, die nächste Beerdigung steht an. So ist das Leben.