Avignon, Dezember 2023 

 

Ein Adventssonntag in Avignon. Avignon – da denkt man an die berühmte Brücke. Oder an den Spatz, an Mireille Mathieu - jedenfalls die älteren unter uns. Geschichtsversierte verbinden Avignon mit den Päpsten, die im Mittelalter für rund 70 Jahre in der Provencestadt residierten und von dort aus die Politik der katholischen Kirche steuerten… Am Papstpalast kommt man jedenfalls nicht vorbei, wenn man in Avignon ist. Wie ein riesiger steinerner Fingerzeig ragt er über die Häuser hinaus zum Himmel. Und an diesem sonnig-blauen Sonntag blicken wir mal wieder hinter das gewaltige Mauerwerk.

Zwischen 1335 bis 1430 war Avignon Residenz verschiedener Päpste und Gegenpäpste. Diese seltsame Epoche der Kirchengeschichte begann, als Papst Clemens V. - ein Franzose - nicht nach Rom gehen wollte, sondern sich lieber in Lyon zum Papst weihen ließ und anschließend die damals kleine Provinzstadt in der Provence zum Amtssitz wählte. Es ist eine verworrene Interessensgeschichte um Macht und Einfluss, die man in aller Ausführlichkeit in Geschichtsbüchern nachlesen kann. Der Palais des Papes hat diese Epoche und Jahrhunderte überdauert und ist heute eines der größten und wichtigsten gotischen Gebäude in Europa. Im Ensemble mit der Altstadt gehört er inzwischen zum Weltkulturerbe.

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Doch wie lebte es sich einst zwischen diesen Steinmauern? Man braucht schon Phantasie für derlei Gedankenspiele – oder moderne Technik. Im Papstpalast hilft uns ein „HistoPad“: Das Tablet wird mit der Eintrittskarte ausgegeben und damit beginnen wir eine Art Zeitreise. Auf dem Bildschirm werden zunächst die unterschiedlichen Bauepochen des Palastes bildlich dargestellt. Maßgeblich unterteilt sich die große Anlage in den Alten Palast, von 1334 bis 1342 erbaut, und den Neuen Palast, der bis 1370 entstand.

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Durch lange Korridore laufen wir, treppauf und treppab. Viele Stufen, ausgetreten. Über den Ehrenhof, der mit Baugerüsten verstellt ist, durch große leere Säle mit hohen Decken, durch Kreuzgänge, an steinernen Fensternischen vorbei, durch deren Buntglas man über die Dächer der Stadt sieht. Prunkräume müssen es einst gewesen sein: Per HistoPad wählen wir uns in die virtuelle Welt ein und bestaunen die kunstvollen Freskenmalereien an den Wänden, Samtvorhänge und Tapisserien, lange Tischreihen, die sich eigentlich unter den vollen Schüsseln krümmen müssten. Auf den Silberplatten liegen gegrillte Spanferkel und gebratene Geflügel.

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25 Räume sind auf der Besuchstour zugänglich. Wir starten unsere Tour im Konsistoriensaal, gehen durch die Sakristei zum Raum des Kämmerers. Seine Tresore sind in dem Steinboden eingelassen, durch Glasscheiben blicken wir in die Steingruben, auf deren Grund einige Münzen liegen. In der Etage darunter befand sich einst die Große Schatzkammer. Die kostbaren Möbel, die früher die Räume schmückten, wurden in der Französischen Revolution geplündert und zerstört. Der größte Raum ist der Speisesaal, fast 50 Meter lang unter einem großen Tonnengewölbe aus Holz. Ein kahler, großer Saal, der in der 3-D-Darstellung auf dem HistoPad eigentlich ganz gemütlich aussieht. Die farbigen Fresken von eins haben sich in der Kapelle St. Jean zum Teil erhalten, ebenso im sogenannten Hirschzimmer, ein quadratischer Raum, wo Jagdszenen die Wände schmückten.

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Ganz und gar nicht historisch sind dagegen die Kunstobjekte, der immer wieder auf unserem Rundgang in den Blick gerückt sind: Skulpturen und Landschaften aus Pappe der französischen Künstlerin Eva Jospin sind in der Jahresausstellung des Palastes noch bis Anfang Januar zu bestaunen. Mehrere Werke wurden eigens für die Ausstellung geschaffen, so drei zehn Meter lange Stickereien im Speisesaal, die nach Art der großen Wandbehänge angebracht wurden.

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Doch die Tochter des früheren Premierministers Lionel Jospin klebt, schleift, schneidet und bearbeitet in ihrem Pariser Atelier vor allem ein Material: Pappkartons. Eine Mammutarbeit, so scheint es, wenn man ihre Installationen von nahem begutachtet: monumentale Wald- und Architekturlandschaften. Vor allem in der Großen Kapelle sind die Werke überdimensioniert: Altäre aus geschnitztem Karton, traumhafte Sequenzen, spinnerte und fragile Formen, verschlungene Äste und Stämme, Höhlen, große, traumhafte Kulissen und leidtriefende Figuren. Beeindruckend, aber nicht unbedingt erheiternd.

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Fröhlicher ist der Abschluss unserer Tour auf dem Dach des Palastes mit einem Blick durch die Turmzinnen auf die Stadt und die weite Landschaft. Auf dem großen Platz vor dem Papstpalast spielt eine Band. Überhaupt: Es weihnachtet in Avignon! Vor der Markhalle lockt der kleine Weihnachtsmarkt mit Budenzauber. Spannender ist an diesem Adventswochenende aber der Weihnachtsmarkt im alten Karmeliterkloster: „La Fabrique de Noël“ versammelt in dem historischen Kreuzgang aus dem 13. Jahrhundert 50 lokale Handwerker, Designer und Erzeuger in einmaligem Ambiente mit vielen Geschenkideen von Kerzen über Keramik, Schmuck und Design. Der Glühwein, den wir nach dem Bummeln trinken, ist selbstgemacht und heiß und der richtige Abschluss eines stimmungsvollen Adventssonntags in Avignon.

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