Le Thor, November 2023

 

Die Provence steht für Lavendel, Rosé, Trüffel – und natürlich für Oliven. Jetzt ist die Zeit, dass die schwarzen und grünen Früchte reif sind und geerntet werden. Auch unser kleines Olivenbäumchen im Garten hat für seine Verhältnisse reichlich Oliven getragen - 500 Gramm, grob geschätzt. Dabei von Ernte zu sprechen, wäre wohl vermessen, die Oliven waren in zehn Minuten gepflückt. Und deshalb konnten wir nicht nein sagen, als wir eingeladen wurden, den übervollen Olivenbaum einer Bekannten leer zu pflücken. Denn ja - es gibt sogar Provenzalen, die der gesunden Steinfrucht nichts abgewinnen können.

Mit Eimern und Kisten rücken wir also an, haben allerdings die Leitern vergessen. Doch zum Glück hat unsere Gastgeberin noch einen Trittstock und eine alte Leiter in ihrer Garage. Und so beginnt unsere Ernte an einem sonnigen Tag unter einem vom Mistral wolkenfrei gefegten blauen Himmel. Der Olivenbaum im Garten unserer Gastgeberin in Le Thor protzt vor Früchten. Er ist einer von vielen in Frankreich – im Land gibt es 50 000 Hektar kultivierte Olivenbäume und mehr als 40 000 Olivenbauern. Durchschnittlich 5000 Tonnen Olivenöl werden im Jahr produziert. Dabei ist der französische Markt nach Italien, Spanien, Griechenland und den USA nur der fünftgrößte weltweit, was den Verbrauch betrifft.

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So ein Olivenbaum ist ein strubbeliger Geselle. Der Stamm ist knorrig, die Zweige mit den silbrig-grünen schmalen Blättern sind zerzaust. Die Äste sind wohl lange nicht beschnitten worden. An die 30 Jahre alt ist der Baum, schätzt unsere Gastgeberin. Und Olivenbäume können alt werden, uralt. Wohl auch deshalb sind sie das Symbol für Weisheit, aber auch für Frieden – die Friedenstaube trägt einen Olivenzweig im Schnabel. Seit zweieinhalb Jahrtausenden wachsen die Olivenbäume in der Provence – Griechen und Römer haben zu ihrer Verbreitung beigetragen. Nicht mit Maschinen, sondern zumeist auf traditionelle Weise werden noch heute von November bis Februar die meisten Früchte vom Baum geholt: Riesige Netze werden dafür unter den Bäumen ausgebreitet, dann durchkämmen Erntehelfer mit Rechen vorsichtig die Zweige, so dass die Früchte herunterpurzeln.

Wir machen es auf die noch einfachere traditionelle Weise - wir pflücken mit der Hand. Die Oliven in den unteren Rängen sind leicht zu erreichen. Dann geht es auf die Leiter. Die untere Trittstufe fehlt, der Boden ist wackelig und aufgeweicht. Und der Mistral bläst – je höher ich komme, desto mehr wackelt der ganze Baum. Zum Glück sind die Zweige biegsam, so lassen sich die Oliven leicht heranziehen. Irgendwann bin ich so hoch im trockenen Zweigwerk, dass ich den Kopf nicht mehr nach unten bewegen kann. Die Blätter piksen auf dem Gesicht. Auf gut Glück werfe ich die Oliven in den Eimer unter mir. Und doch: Was für ein herrliches Gefühl, dort oben in der Krone zu stehen und nach den Früchte zu greifen! Zum Schluss sind zwei große Kisten mit prallen grünen Oliven gefüllt.

Olivenernte2

Die Gastgeberin hat beim Aufsammeln unter dem Baum geholfen und serviert zum Abschied sogar eine frisch gebackene, noch warme Apfeltarte. Der Tag ist wirklich ein Geschenk!

In Saint-Pantaléon, vor der Moulin du Clos des Jeannons, sind wir dann nicht die ersten, die ihr Auto rückwärts vor die Ölmühle fahren und den Kofferraum öffnen. Die Ölmühle ist eine von etwa 300 im Lande und arbeitet auf traditionelle Weise: Hier werden die Oliven mit einem Mühlstein zerquetscht. 2018 hat die Mühle 80 000 Liter Öl produziert. Ein netter Mann bringt unsere Ausbeute hinein und kippt sie in ein schon gut gefülltes Becken auf der Waage. Nicht, ohne vorher mit der Hand durch die Kisten zu fahren und die Oliven kritisch zu begutachten. 22,5 Kilo bescheinigt die Waage, deren Ausdruck mir die Dame am Bürotisch in die Hand drückt. Auf dem Zettel ist auch die Sorte vermerkt – Aglandau -, und die Qualität: „bon“.

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Die Aglandau-Olivensorte, so lese ich nachher im Internet, macht mehr als 20 Prozent der französischen Olivenölproduktion aus und ist daher als eine der am weitest verbreiteten Sorten des Landes bekannt. Sie wird vor allem geschätzt, weil sie dem Winterklima gut standhält. Der Name leitet sich von dem französischen Wort für Eichel (gland) ab, der sie in der Form sehr ähnelt. Die Aglandau-Olive hat ein fleischiges Fruchtfleisch und liefert ein Öl, das für seine Fruchtigkeit und Cremigkeit bekannt ist und Aromen von Artischocken, grünen Früchten, Mandeln und Steinobst entwickelt. Das klingt alles lecker.

Mit wie vielen Litern Olivenöl können wir nun rechnen, frage ich die Dame an der Waage. Sie zückt den Taschenrechner, tippt schnell die Zahlen ein: 3,8 Liter! Abzuholen ab dem 11. Dezember. Ein wunderbares Ergebnis, mit so viel hätten wir gar nicht gerechnet: 3,8 Liter frischgepresstes Olivenöl für eineinhalb Stunden Olivenernte.

Ab dem 11. Dezember haben wir wieder ein Rendezvous in Saint-Pantaléon.

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