L'Isle sur la Sorgue, 13. August 2023

 

Nicht lang schnacken, Kopp in Nacken! Sagt man in Norddeutschland, wenn der Schnaps die Runde macht: …und dann mal Prost! Daran muss ich denken, während wir in dieser warmen Augustnacht im Garten sitzen und mit dem Kopf in den Sternen sind. Denn selten sollen Sternschnuppen so schön zu sehen sein wie rund um den 12. August: Der Sternschnuppen-Regen der Perseiden ist zu Besuch. Dann muss man einfach mal geduldig sein und den Kopf in den Nacken legen.

In der Nacht vom 12. auf den 13. August erreicht der Meteorregen traditionell seinen Höhepunkt: Mehr als hundert Sternschnuppen pro Stunde können angeblich in einer wolkenlosen Nacht mit dem bloßen Auge gut zu erkennen sein. Die Voraussetzungen sind gut, keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Auch nicht der abnehmende Mond, in drei Tagen ist schon Neumond – so leuchten nur die Sterne am weiten Firmament. Also rücken wir unsere Stühle zurück, ein Glas Rosé in Griffweite – und konzentrieren uns auf das Meer der kleinen Lichtpunkte über unseren Köpfen.

Unendliche Weiten. Wie weit sind die Sterne entfernt? Wie lange ist ihr Licht unterwegs zu uns? Wo ist der Anfang des Weltalls und wo das Ende? Und ist da oben irgendwo noch jemand? Seit meiner Kindheit kommen mir diese Fragen ganz von selbst in den Sinn, wenn ich in den Sternenhimmel sehe. Alles, was ich darüber seither gelesen habe, hat mich nicht wirklich schlauer gemacht: Die nächtliche Welt über meinem Kopf ist mir immer noch ein riesiges Rätsel. Nicht einmal die gängigsten Sternbilder kann ich mir merken, vom Großen Wagen vielleicht mal abgesehen.

Dieser Sternenhimmel ist eine Bühne für sich. Blinkende Flugzeuge queren den Blick in die Dunkelheit. Manche Sterne funkeln. Manche sind heller als andere. Und manche Lichtpunkte bewegen sich langsam in großer Höhe und verschwinden dann plötzlich, anscheinend Satelliten.

In solchen Nächten müsste eigentlich himmlischer Frieden herrschen. Leider scheinen jedoch nicht alle Nachbarn in der gleichen Ehrfurcht die besondere Sternennacht zu genießen; einer jedenfalls hat offensichtlich zu einer Technoparty geladen. Bum, bum, bum. Dumpfe Bässe. Kann man darauf tanzen? Erschwerte Bedingungen für eine Sternenshow, aber es nützt ja nix: Also nicht ablenken lassen durch die Musik, trotz hämmernder Rhythmen die eigene Stille finden. Gar nicht so einfach. Dann auch noch ein kurzes musikalisches Intermezzo mit Y.M.C.A. von den Village People und Queens „We are the champions“ – fast automatisch singen wir in unserem Garten mit. Und müssen lachen. Ok, jeder genießt diese Nacht auf seine Weise, also lassen wir dem Nachbarn seinen Spaß. Nicht lang schnacken, Kopp in Nacken!

Starlinks

Unser andächtiges Warten wird bald immerhin belohnt. Eine fette Sternschnuppe mit einem leuchtenden Schweif direkt über uns, fast scheint sie direkt hinter uns in den Erdboden einzuschlagen. Dann ein paar kleinere Lichtstreifen am Himmel. Und plötzlich, aus einer ganz anderen Himmelsrichtung, eine leuchtende Perlenkette, die wie eine Raupe über den Himmel kriecht: Starklinks. Schon die zweiten, die wir in diesem Jahr sehen: Elon Musks Firma SpaceX schickt regelmäßig Starlink-Satelliten in den Orbit. Das US-Raumfahrtunternehmen betreibt das weltweit größte Satellitennetzwerk, mit dem schnelles Internet auch an entlegenen Orten verfügbar gemacht werden soll. Nach jedem neuen Start fliegen die Satelliten erstmal in einer Kette beieinander, bevor sie sich auf die für sie vorgesehenen Umlaufbahnen verteilen. Am 11. August hat SpaceX gerade das 98. Kontingent von 22 Starlink-Internetsatelliten gestartet – 4940 Starlink-Satelliten kreisen damit nun schon über uns. Bis 2025 sollen es 12000 sein, die Genehmigung für 30000 weitere steht noch aus. Ein gigantisches, egomanisches Unternehmen, das viel berechtigte Kritik hervorruft – und doch lässt einen der Anblick der Lichterkette am dunklen Himmel nicht unberührt.

Der erhoffte imposante Perseidenregen allerdings lässt derweil auf sich warten. Nach einer Stunde haben wir erst fünf Sternschnuppen gesehen. Die Perseiden, die aus dem Sternenbild des Perseus zu kommen scheinen, stammen vom Kometen 109P/Swift-Tuttle. Alle 133 Jahre umkreist der die Sonne. Dabei hinterlässt er immer eine Gesteins- und Staubspur im All, die die Erde alljährlich am 12. oder 13. August kreuzt. Denn wenn die Sternschnuppe am Himmel aufblitzt, handelt es sich tatsächlich nur um ein winziges Stück kosmischen Staubs, das in die Erdatmosphäre eintritt und verglüht. Eine sehr profane und ernüchternde Erklärung für das himmlische Spektakel, das den Menschen seit alters her fasziniert. Warum sonst verbindet er mit dem Anblick einer Sternschnuppe die Idee, dass sie Glück bringt? Dass sie dem Menschen jeden Wunsch erfüllt, den er bei ihrem Erleuchten unausgesprochen im Sinn hat?

Tatsächlich sahen die Menschen in früherer Zeit in den Sternen göttliche Lichtfunken am Firmament. Sternschnuppen deuteten sie als glühende Dochte, die den Engeln beim Putzen der Himmelskerzen herunterfielen. Äußerte man bei ihrem Anblick einen stillen Wunsch, konnte man sich des göttlichen Beistands sicher sein. So erklärt sich sogar der Name: Schnuppe stammt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet verkohlter Docht.

Das wiederum ist eine viel schönere Erklärung als alle wissenschaftlichen Erläuterungen über die himmlischen Gesteins- und Staubkörner. Bis um Mitternacht jedenfalls bleibt der Nachthimmel davon relativ sauber: Nur elf schöne Sternschnuppen zählen wir. Dann fallen keine mehr, dafür aber klappen unsere Augenlider nach unten. So verpassen wir wohl den Lichterregen, der zwischen zwei und vier Uhr nachts seinen Höhepunkt erreichen soll. Auch die Beats aus den Lautsprechern des Nachbarn drehen nach Mitternacht noch mal richtig auf. Ein Trost: In den nächsten Nächten sollen noch ganz viele Perseiden zu sehen sein.

Überhaupt, Sternschnuppen fallen das ganze Jahr über vom Himmel, und wer sich der Faszination des nächtlichen Lichtspektakels immer mal wieder hingibt, der sieht sie dann auch. Einfach mal: Kopf in Nacken und Geduld.

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