Lacoste, Juli 2023

 

Sonntagsausflug nach Lacoste. Während in L’Isle-sur-la Sorgue der Sonntagsmarkt für volle Straßen sorgt, die Geschäfte geöffnet haben, das Leben pulsiert in den Cafés und Restaurants, ruht das kleine Bergdorf ruhig und still in sich. Mittelalterliche Steinhäuser, die sich auf einem Hügel zusammenkuscheln, unverputzter heller Kalkstein, enge Gassen und grobes Kopfsteinpflaster, überragt von einer alten Schlossruine: So stellt man sich das klassische malerische Provencedorf vor. Ein Traumdorf – und so fühlt es sich auch an: nicht ganz im Leben. Künstlich. Und um Kunst in vielerlei Hinsicht geht es heute in Lacoste. Und auch bei uns an diesem Tag. Um die Kunst der Mode, genauer gesagt. Die Namen bekannter Modeschöpfer stehen auf unserem Programm.

So treten wir aus dem grellen Sonnenlicht in die abgedunkelten Räume eines zweistöckigen Steinhauses. Das Thema: Christian Lacroix kleidet Peer Gynt für die Comédie-Française. 50 Kostüme sind hinter Glasscheiben ausgestellt: Entworfen hat sie der Modedesigner Lacroix, der für seine extravaganten, opulent-eleganten und unbezahlbaren Modeschöpfungen bekannt wurde. Aber Lacroix, so kann man auf einer der Tafeln lesen, ist auch Kunsthistoriker, er hat nicht nur ein Herz für die Mode, sondern noch mehr fürs Theater, die Bühne, die Opulenz der Oper. Für viele Produktionen in Frankreich, Deutschland, Belgien und Italien hat er in den vergangenen Jahren die Kostüme entworfen.

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Diese hier entstanden 2012 für eine Inszenierung von Hendrik Ibsens „Peer Gynt“, aufgeführt von der ältesten Theatergruppe des Landes, der Comédie-Française, die im 17. Jahrhundert von Ludwig XIV. gegründet wurde. Also Kostüme. Und was für welche! Selbst ohne großes Wissen um Technik, um Nadel und Faden und Design erkennt man einmal mehr, dass es große Kunst ist, ein Kostüm oder ein Kleid so zu entwerfen und zu gestalten, dass es abgetragen und abgewetzt aussieht.

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Barocke, schillernde Kreationen präsentiert die Ausstellung, dazu auch die Zeichenmodelle, die Lacroix gefertigt hat. Welch ein Theater der Farben und Materialien, Perlen, Samt und Seide, feinste Stoffe und hauchzarte Gewebe! Und dafür bietet die sagenhafte Geschichte von Peer Gynt allerlei Stoff: Sie erzählt von der Reise eines norwegischen Bauernsohns, der sich auf der Suche nach sich selbst in Abenteuer stürzt, auf einer Hochzeit eine Braut entführt, Goldsucher in Amerika und Sklavenhändler in Afrika wird und schließlich in einem Irrenhaus in Kairo landet. Sagenhafte Rollen aus allen Kulturen, Trolle, Seemänner, Haremsdamen und Affen bereichern diese Phantasiewelt in der Erzählung des norwegischen Autors. Ein zerlumptes Brautkleid, im kleinsten Detail perfekt gestaltet, mit Pailletten besetzte orientalische Gewänder oder bestickte Westen wie aus 1001 Nacht – das ist die Bühnenausstattung dafür.

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Wer danach erst recht Lust auf die Kunst der Mode bekommen hat, geht einfach die historische Dorfstraße zwei oder drei Kurven weiter hoch, denn Prinzessinnen aus dem Nahen Osten gehören tatsächlich zu den Kundinnen des Modedesigners Julien Fournié. Seine Kleider kosten ab 40000 Euro aufwärts, kann man im Internet lesen. „Julien Fournié: Haute Couture - Un point c'est tout!“ (Haute Couture – Ein Stich ist alles!) heißt die Ausstellung, die derzeit ebenfalls in Lacoste zu sehen ist.

BRAUTKLEID

Ein pompöses Brautkleid auch hier, feinste Lederkleiderkreationen, ein Gewand aus Federn – das ist eine andere Welt, die so gar nicht in diesen mittelalterlichen Rahmen passt und vielleicht gerade deshalb ihren Reiz in Lacoste hat. Aus dem Ausstellungsraum im oberen Geschoss kann man direkt auf einen Balkon treten – und blickt über das weite Land, lila Lavendelfelder, kleine Dörfer, Hügel. Wieder die andere Welt. Tief Luft holen!

FURIE

Beide Ausstellungen werden von der SCAD präsentiert, der amerikanischen Kunstuniversität Savannah College of Art and Design, die seit 21 Jahren einen Campus in Lacoste unterhält und so ihren Studenten Auslandsaufenthalte zum Studium der Kunst und Kultur in der Provence offeriert. Und in diesem Sommer steht dabei die Mode im Mittelpunkt. Dem SCAD gehört inzwischen ein Drittel des Dorfes. Die Studenten laden in ihre Ateliers ein, für die sie die Türen der renovierten Dorfhäuser weit öffnen.

LACOSTE

Dazwischen hat SCAD ein Haus mit musealem Charakter eingerichtet: Dort hat früher der Bäcker des Dorfes gewohnt. Man sieht das Elternzimmer, die gute Stube mit dem Kinderzimmer auf halber Höhe, die Küche und dahinter den Schweinestall, eine dunkle Höhle tief im Stein des Berges gegraben. Kalt und dunkel, kein schönes Schweineleben, möchte man sagen.

BÄCKER

Einen Bäcker gibt es heute nicht mehr, der letzte hat vor ein paar Jahren geschlossen, es gibt auch keinen Metzger, keine Geschäfte. In den Gassen von Lacoste ist es immer stiller geworden. Wo sind die normalen Menschen? Die Kinder? Ein kleiner Lebensmittelmarkt hat auf Initiative von SCAD am 1. April eröffnet – Teil einer Initiative zur Revitalisierung des Ortes.

Neben SCAD, der Kunstuniversität, gibt es nämlich einen zweiten Großbesitzer in Lacoste – oder es gab ihn: Pierre Cardin, Modeschöpfer und Multimillionär. 2001 erwarb er die Schlossruine über dem Dorf. Erbaut wurde das Schloss im 11. Jahrhundert, später gehörte es der Familie de Sade, im 17. Jahrhundert lebte der berühmte Marquis de Sade dort, und noch später fiel der Bau an das Dorf, das den Unterhalt langfristig nicht leisten konnte. Cardin renovierte das Schloss und richtete in den nahegelegenen Steinbrüchen ein Sommerfestival ein, zu dem sich bekannte Künstler wie Andrea Bocelli ansagten. Dann lockte Cardin die Bewohner mit Kaufangeboten weit über dem Marktwert und erstand so nach und nach rund 50 Gebäude im Dorf. Er ließ sie renovieren, dann aber leerstehen. Ein Saint-Tropez der Kultur, das wollte er aus Lacoste machen.

Cardin starb im Dezember 2020 mit 98 Jahren, sein Besitz ging an seine Stiftung über. Angeblich wurde einige seiner leerstehenden Häuser inzwischen von dem Savannah College gekauft. Klingt nicht so, als würde das normale Leben demnächst wieder dort einziehen. Wir jedenfalls kehren nach einem bereichernden Nachmittag ganz gerne dorthin zurück.