L'Isle sur la Sorgue, Mai/Juni 2023
Das Leben ist ein Kommen und Gehen. Keine neue Erkenntnis, doch jede neue Erfahrung, die mich das lehrt, ist schmerzvoll und traurig – drei unserer Hühner sind im Laufe der Jahre nun schon von uns gegangen. Es war also an der Zeit, unsere Hühnergruppe etwas zu verjüngen. Unsere Neuzugänge heißen Fritzi, Gabi und Louise.
Louise ist ein Sussex-Huhn, ein elegantes weißes Huhn mit einem schwarz-weißen Kragen und einigen schwarzen Schwanzfedern. Sussex-Hühner sollen zutraulich und freundlich sein und viele Eier legen, durchschnittlich alle zwei Tage eins. Das klang vielversprechend. Fritzi und Gabi sind zwei braune Legehennen, die ebenfalls fleißig für Frühstückseier sorge sollen … aber Erfahrungswerte fehlen noch: Die Junghennen, gerade über fünf Monate alt, halten sich bei der Eierproduktion noch zurück. Die Integration neuer Hühner in eine eingespielte Gruppe, das muss geplant werden!
Die ersten Tage verbrachten unsere Neuzugänge allein auf der großen Wiese, auf der unsere Hühnergruppe eigentlich die Tage verbringt. Ein kleiner hölzerner Hühnerstall steht dort mit einem Nest. Ideal also für die Quarantänezeit. Unsere älteren Ladies – Bertha, Greta und Juliette – blieben in dieser Zeit im Hühnerstall und auf der kleineren Wiese dahinter. So war es jedenfalls gedacht. Doch unsere alten Hennen wollten auf ihre große Wiese tagsüber nicht verzichten… Und irgendwie gelang es ihnen, ein Loch in das Nylonnetz zu beißen, das ihre kleine Wiese umgibt. Dann marschierten sie resolut zur Tageswiese und starrten verdutzt auf die drei neuen Hühner, die ihnen von dort verschreckt und schüchtern entgegensahen. Das war das erste Blickkontakt.
Der erste Körperkontakt war alles andere als sanft. Und wir erkannten unsere lieben Hühner nicht wieder: Sie verwandelten sich in rabiate Zicken. Bei der ersten Begegnung plusterte Juliette ihre Halsfedern auf und stürzte sich boxend auf ihr braunes Gegenüber, das nicht weniger mutig in den Ring stieg. In den ersten gemeinsamen Tagen blockierten die Alten konsequent den Wassernapf und den Futterspender, jede Annäherung von den Neulingen wurde mit Picken bestraft.
Inzwischen hat die Vergesellschaftung der Hühner, wie man wohl im Fachjargon sagt, stattgefunden. Die Situation hat sich beruhigt. Die sechs Hühner ziehen gemeinsam in der Gruppe über die Wiese, scharren, graben sich für ein Sandbad nebeneinander in den Staub – und die Junghühner scheinen inzwischen akzeptiert zu haben, dass die Alten sich bei der Fütterung immer noch aufspielen und sie deshalb ein bisschen warten müssen, bis sie an der Reihe sind. So ist die Hackordnung, die im Hühnerhof herrscht und die darüber entscheidet, wer beim Futter und dem Schlafplatz vorne ist. Sie sorgt für die soziale Harmonie in der Hühnerschar.
Dafür steht normalerweise auch ein Hahn ein. Der fehlt in unserer Damenschar – aber dafür übernimmt immer das dominanteste Huhn diese Rolle. Das war bisher Paulette, ein großes graues Huhn, das allein schon durch eine mächtige Statur für Eindruck sorgte. Doch nach ihrem Tod wurde die Stelle gerade frei und offensichtlich von Bertha übernommen: Neuerdings plustert sie sich auf, hebt den Kopf immer aufmerksam, stürmt als erste auf die Körner und sitzt abends als erst auf der Stange.
Bis vor einigen Tagen verteidigten die Alten ihre nächtliche Sitzstange im Hühnerstall noch tapfer gegen die Jungen, die sich bis dahin in einem Nest zusammenkuschelten. Doch anscheinend kam es inzwischen – von uns unbemerkt – zur Palastrevolution: Als wir abends die Hühnertür schließen wollten, saßen alle sechs Hühner in einer Reihe auf der Stange. Und wie friedlich sie dann schauen können! Als könnten sie keiner Fliege etwas zuleide tun.
Wenn es stimmt, was die Tierschutzorganisation „Peta“ schreibt, dann schlafen Hühner sehr tief und durchleben genau wie wir Menschen im Schlaf sogenannte REM-Phasen, in denen sie träumen. Ein schöner Gedanke: Wovon mögen unsere Hühner träumen? Von einem Wurm, den sie gegen die anderen erfolgreich verteidigt haben? Von dem Bussard, der morgens über der Wiese kreiste? Von dem Gewitter, das sie am Nachmittag überrascht hat? Mögen sie sanfte Träume haben! Und wie schön: Es ist wieder Friede eingekehrt in unserem Hühnerstall.