In Roussillon, März 2023
Wo die Provence am schönsten ist, da protzt sie mit Farben. Sie ist rot. Safrangelb und ockerbraun. Und orange. Die ganze Palette der Flammenfarben! Die Ockerbrüche leuchten schon von weitem, die brennend rote Erde ragt in bizarren Formen aus der Erde. Die Dörfer drumherum sitzen wie Adlerneste auf den Hügelspitzen, die Häuser glänzen wie rote Perlenglieder in der Sonne. Und als eines der schönsten Dörfer dort – und von ganz Frankreich – gilt Roussillon.
Das Dorf gibt seinem Namen alle Ehre. Rousse – rotbraun, rosa und fuchsrot sind die Häuser, die sich wie eine Theaterkulisse um den Dorfplatz reihen. Eingebettet in blutrot bis safrangelber Erde, umgeben von den Ocker- und Felsbrüchen, die so poetische Namen tragen wie Feental, Bluthügel und Straße der Riesen. Das verträumte Dorf thront oberhalb der alten Abbaustellen, aus denen früher der Ocker gewonnen wurde. Heute hat längst auch schon Industriefarbe in Roussillon Einzug gehalten, nicht alle der in warmen Rot- und Gelbfarben gestrichenen Hausfassaden sind aus den natürlichen Ockerpigmenten gewonnen.
Schönheit hat ihren Preis. Das merkt der Besucher schon auf dem Parkplatz: 4 Euro, darunter gibt es kein Parkticket. In den engen, farbenfrohen Gassen laden kleine Lädchen und Künstlerateliers zum Kauf von Bildern, Keramiken, Pigmenten und Künstlerbedarf ein.
Und am „Maison Brémond 1830“ kann man nicht verbeigehen, ohne etwas zu probieren: Ihr erstes Handelsgeschäft für Mandeln, Olivenöl, Gewürze und Trüffel hat die Familie Brémond im Jahr 1830 in Aix-en-Provence eröffnet, und schon bald kamen die Menschen von weit her, um die Confiserien und Delikatessen zu kosten. Mittlerweile ist das provenzalische Feinkostgeschäft in vielen Ort der Provence zu finden. Olivenöl und Balsamessig in verschiedensten Variationen, Senf, Terrinen, feinen Schokoladen, Honig, Konfitüren und Tapenaden stapeln sich in den rustikalen Holzregalen. Uns haben es die kleinen Karamellwürfel im Goldpapier angetan. Es gibt sie in sechs Rezepten, mit Zitrone zum Beispiel, Pistazie und Salz. Das sei eine besondere Spezialität im Brémond, erzählt die Verkäuferin stolz: In Handarbeit entsteht das Karamell in der Caramelerie de Mane, und bei der Zubereitung wird nicht, wie üblich, Butter, sondern Olivenöl verwendet: „Deshalb klebt unser Karamell nicht an den Zähnen“, verspricht sie. Das ist ein Versuch wert, und so wandert wenig später ein Tütchen Zitronenkaramell über die Ladentheke.
Das Gässchen führt an bunten Eingangstüren und Fensterläden vorbei zum Dorfplatz vor dem Rathaus und weiter durch das Tor des Glockenturms der alten Stadtmauer hinauf zur Kirche St. Michel. Sie stammt aus dem 12. Jahrhundert, die Fassade ist aus dem 18. Jahrhundert. Davor döst in der Sonne ein Hund, ein weißer, zotteliger Retriever, der mit unserem Hund um die Kirche jagt und fortan unser Begleiter durchs Dorf ist. Gleich um die Ecke hinter der Kirche gibt es ein kleines, feines Lädchen, an dem man auf keinem Fall vorbeigehen darf: die Essigmanufaktur Bals’Art. Dort gibt es eine kleine, aber erlesene Auswahl an herrlichen Bio-Balsamessigen in den verschiedensten Variationen – mit Nüssen, Zitronen, Ingwer, Pfeffer oder Lavendelhonig. Und sie alle dürfen vor dem Kauf probiert werden!
Auf dem Platz gleich dahinter hat man den höchsten Punkt der Bergspitze erreicht, von wo aus man den weiten Blick über die Felder, Berge und Täler vom Ventoux bis zum Luberon genießen kann. Dort, auf dem „castrum“, soll früher eine große Burg gestanden haben. Eine Gruppe Franzosen hat sich rund um den Orientierungsstein zum Picknick niedergelassen, gerade wird der Korken aus der Weinflasche gezogen. „Mit einer Flasche Wein kann man sich überall niederlassen“, lacht eine der Frauen und prostet uns zu.
Wir lassen uns stattdessen auf der Terrasse des „Bistro de Roussillon“ nieder. Mit dabei, immer noch, der Retriever. „Das ist Calixte, der gehört hier zum Ort“, erzählt uns eine Frau am Nebentisch. Der Wirt bringt uns Rosé-Wein, dazu Tapenaden - Pasten aus Oliven, Kichererbsen und Tomaten - mit frischem Baguette. Dazu scheint die Sonne auf uns hernieder. Jetzt, in diesem Moment und an diesem Ort – sind wir im provenzalischen Himmel!
Aber wo war eigentlich Samuel Beckett? Kein Hinweisschild, kein Gedenkstein: Viele Spuren scheint der irische Dramatiker in Roussillon nicht hinterlassen zu haben. 1942 kam Beckett nach Roussillon, wo er sich bis zum Kriegsende 1945 vor den Nazis versteckte. Er verdingte sich als Hilfskraft bei einem Weinbauern, arbeitete in der Landwirtschaft und schrieb. In seinem Klassiker „Warten auf Godot“ hat er seinem Zufluchtsort in der Provence gleichwohl ein kleines Denkmal gesetzt, als er die beiden wartenden Landstreicher über die Orte ihrer vergangenen Wanderungen erzählen lässt. Auch im Vaucluse seien sie doch schon gewesen, in Roussillon, erzählt Wladimir seinem Freund Estragon: „Da leuchtet doch alles so rot.“
Bevor wir uns wieder auf den Weg machen, verschenken wir auf dem Parkplatz noch unser Parkticket an zwei Frauen, die gerade einparken. Fröhlich und erwartungsvoll ziehen sie Richtung Dorf, während der Retriever uns im Rückspiegel traurig und verlassen hinterherschaut. Noch auf der Fahrt kramen wir die Karamelltüte hervor und lassen den klebrige Würfel auf der Zunge zergehen. Ja wirklich, man schmeckt das Olivenöl, es gibt der Süßigkeit des Zuckers eine besondere Note. Und das Karamell klebt wirklich nicht, zumindest weniger als sonst - oder kommt es uns nur so vor?