Ein Regentag in der Provence, 15. Dezember 2022
Es weihnachtet sehr in der Provence. Über der Sorgue, dem kleinen Flüsschen, das sich durchs Städtchen mäandert, sorgen Lichterketten für Zauberglanz; übergroße aufgeblasene Weihnachts- und Schneemänner schmücken Straßenecken und der große Kirchplatz wird über Lautsprecher mit amerikanischen Weihnachtssongs beschallt: „Let it snow, let it snow, let it snow!“ Vor den Supermärkten werden mittlerweile sogar Nordmanntannen verkauft, das ist neu. Das Radio spielt zwischendurch mal einen Weihnachtssong. Und auf dem Handy häufen sich die Nachrichten und Fotos aus der Heimat: „Guckt mal, hier hat es heute Nacht geschneit! Alles weiß!“ Ach… I’m dreaming from a white christmas…
Aber statt großer weißer Flocken ergießen sich heute mal wieder riesige Wassermengen aus himmlischen Höhen auf uns hernieder. Rhythmisch trommelt der Regen gegen die Fensterscheiben. Wie ein dichter Vorhang versteckt der Wasserschleier den Blick zum Himmel. Die Wasserpfützen wachsen zu kleinen Seen. Nur mit Gummistiefeln und im Regenmantel ist der Hühnerstall zu erreichen, wo die Hühner mürrisch gackern, weil sie ebenso wasserscheu sind wie der Hund, der sich in sein Körbchen verzieht und anscheinend in einen Winterschlaf verfallen will. Es ist, als wolle uns die Natur all die Feuchtigkeit, die der trockenen Sommer uns vorenthalten hat, doch noch nachträglich bescheren.
Ok, für die Natur ist der Regen gut. Das sagen jetzt alle, mit denen man übers Wetter spricht – und wovon sollte man sonst sprechen!? Und dabei verdrehen die Provenzalen die Augen ein wenig. Denn wer sonnenverwöhnt ist, kann seine schlechte Laune kaum überspielen, wenn der blaue Himmel mal drei Tage nicht zu sehen ist. Doch selbst der stärkste Regen kann das Glitzern und Blinken der französischen Weihnacht nicht verbergen. Fantasievoll, in bunten Farben und für deutsche Geschmäcker vielleicht ein wenig kitschig präsentiert sich die Weihnachtsbeleuchtung in den provenzalischen Dörfern.
Tannenbaum und Weihnachtsmarkt, wie sie zur deutschen Weihnacht traditionell dazugehören, waren in Frankreich bisher eher aufs Elsass beschränkt. Doch das verändert sich: Les marchés de Noël erfreuen sich auch in südlicheren Gefilden immer größerer Beliebtheit. Selbst in der Provence schmückt sich inzwischen fast jedes kleine Dorf wenigstens an einem Wochenende im Dezember mit ein paar weihnachtlichen Ständen und fröhlich-besinnlicher Stimmung.
In L’Isle sur la Sorgue hat der Weihnachtsmarkt schon zum ersten Advent geöffnet und das kleine Holzbuden-Dörfchen bleibt bis Heiligabend stehen. Glühweinstände sind allerdings eher eine Seltenheit und auch der Duft von Bratwürsten ist nirgends zu erschnuppern. Dafür wächst in jedem Jahr die Auswahl an Adventskalendern in den Supermärkten. Und überhaupt: Wenn der Regen sich in Bindfäden vom Himmel abseilt, sind die weihnachtlich geschmückten Supermärkte mit ihren Angeboten gute Orte, um wieder in Weihnachtsstimmung zu kommen. Und bei Lidl gibt es nicht nur die glitzernden französischen Weihnachts-Schoko-Pralinen, sondern sogar deutsche Lebkuchen und Spekulatius!
Bei einer Tasse Tee mit Spekulatius am warmen Feuer lässt sich dann sogar der Regentag in der Provence stimmungsvoll ertragen. Eine provenzalische Legende besagt, dass Gott nach der Erschaffung der Welt ein wenig von allen Wundern der Erde in seinem Sortiment übrig hatte und dass er daraus die Provence machte, indem er sagte: „Aco sara lou Paradis!“ (Es wird der Himmel sein!) So gesehen kann im Paradies auch der Regen nur himmlisch sein.