Eine provenzalische Weihnachtskrippe in L'Isle sur la Sorgue, Anfang Dezember 2022
Alle Jahre wieder baut Monique Borg ihre Krippe auf. In diesem Jahr hat die 70-Jährige damit schon Anfang November begonnen, um Ende November fertig zu sein. Drei Wochen hat sie jeden Tag stundenlang an ihrem neuen Werk gearbeitet. Das Ergebnis blinkt und glitzert und verwandelt ihr ganzes Wohnzimmer in eine provenzalische Miniaturlandschaft. Zu sehen bekommen diese Krippenwunderwelt allerdings nur Freunde, Bekannte und Nachbarn der Französin.
Monique Borg liebt die volkstümlichen Krippenfiguren der Provence. Überall werden die Santons, die „kleinen Heiligen“, wie sie im Provenzalischen heißen, derzeit wieder ausgepackt aus den Kisten, in denen sie ihren Sommerschlaf verbringen. Spätestens ab dem Barbaratag am 4. Dezember bringen sie in Kirchen, Museen und in privaten Stuben wieder die Augen der Betrachter zum Glänzen, die Schäfer mit ihren Schafen, die Bauern auf dem Felde, die Kaufleute und Händler, die Bürgersfrauen in langen Kleidern und Sonnenschirmen - all die traditionellen Figuren, die sich in der Provence um die Krippe scharen und so dem Weihnachtsgeschehen ein ganz eigenes, lebendiges Gesicht geben. Und in L’Isle sur la Sorgue setzt Monique seit vielen Jahren die Weihnachtsgeschichte in ihrem Wohnzimmer auf ihre Weise in Szene.
Schon vor zwei Jahren hatten wir sie auf Einladung einer Freundin besucht. Nun aber habe sich Monique noch einmal selbst übertroffen, so die Freundin, und so nahmen wir gerne die Einladung zu einem erneuten Besuch an. Und schon gleich hinter der Haustür starren uns aus gläsernen Schranktüren viele Santons entgegen – all jene Sammlerstücke, die in diesem Jahr nicht zum Einsatz kamen. Ob sie neidisch auf ihre Kollegen schielen, die gleich hinter der Tür zum Salon ihren großen Auftritt haben?
Die Weihnachtskrippe von Monique ist fast so groß wie das ganze Wohnzimmer. Auf der linken Seite drehen sich die Räder einer Windmühle - es ist die bekannte Mühle in Fontvielle, die durch die Geschichten des Schriftstellers Alphonse de Daudet berühmt wurde. Gegenüber, auf der anderen Seite, versammeln sich Ochs und Esel, Josef und Maria in der Krippe um das neugeborene Kind. Dazwischen: pures Leben! Es wird gearbeitet, gefeiert und getanzt. Die provenzalische Weihnachtskrippe erzählt im typischen Kolorit der Region das Leben in einem idealisierten Dorf des 19. Jahrhunderts. Mit dem Geschehen rund um die Krippe hat das nicht unbedingt zu tun, die Santons sind weniger Ausdruck religiösen Brauchtums als vielmehr provenzalischer Tradition.
Dazu zählen auch die vielen traditionsreichen Santons-Märkte in der Provence, der älteste am Vieux-Port in Marseille besteht schon sein 220 Jahren. Und die Geschäfte laufen gut: Laut der Union der provenzalischen Santons-Produzenten (UFSP) werden pro Jahr über eine Million Santons auf Märkten oder im Internet verkauft, der Umsatz liegt bei über 10 Millionen Euro. Allerdings beklagen Hersteller eine wachsende Billig-Konkurrenz gerade im Internet aus Ländern wie Tunesien und China – und manchmal sogar unter dem Siegel „Made in Provence“. Weshalb die regionalen Handwerker gerade auch als Schutz gegen solche Fälschungen fordern, die Santons als UNESCO-Weltkulturerbe anzuerkennen.
Auch Monique hat die meisten ihrer Santons auf Märkten oder im Internet gefunden. Das Drumherum gestaltet sie selbst. Aus Ton fertigt sie die Häuser, die Felsen, die Mühlen und Windräder, sie näht die Kleider und plündert ihren Garten für den grünen Rahmen. In Ockerfarben sind die Häuser rund um den Kirchplatz gestaltet. Es gibt einen Bouleplatz, Brunnen und Gassen, Wein- und Lavendelfelder, eine Grotte und Olivenhaine. Und dazwischen gehen die Provenzalen, in einheimischer Tracht gekleidet, ihrer Arbeit nach. Der Hirte mit der Herde begegnet dem Kaminfeger und dem Lumpensammler. Der Bäcker schiebt sein Brot in den Ofen, die Marktfrau verkauft Obst und Gemüse, eine andere Stoffe und Tücher, und vor dem Bistro genießt ein Gast seinen Pastis. An seiner Stuhllehne hängt ein Mundschutz…, „im letzten Jahr musste ich alle Besucher noch mit Maske empfangen“, erinnert sich Monique.
Vor der Kirche oberhalb des Dorfes steht ein frischvermähltes Brautpaar und in der Küche eines Landhauses drehen sich drei Hühner über der Glut, während draußen die Gäste vor gefüllten Tellern sitzen. Eine Frau blickt finster und mit erhobenen Händen einem Mann entgegen, der ihr einen Korb Fische reicht. „Das ist die Fischverkäuferin, sie ist sauer auf ihren Mann, weil er viel zu spät mit der Ware kommt“, erklärt Monique das Geschehen. Denn in ihrem Kopf ist jede Szene nur eine Momentaufnahme der vielen Geschichten, die in ihrer Fantasie ablaufen. Und deshalb gibt es für ihre Weihnachtskrippe auch keinen Plan: Sie habe mit der Mühle auf der einen Seite und der Krippe auf der anderen begonnen und dann habe sich der Rest von selbst entwickelt. Dafür braucht die Bastlerin Ruhe, weshalb sie sich vor allem abends an die Arbeit gemacht und ganze Nächte durchgearbeitet habe, „da ist es still, das Telefon klingelt nicht und ich bin ganz bei mir und den Figuren.“
Der Angler, der Schuster, der Scherenschleifer – für viele Figuren gibt es reale Vorbilder. 121 Santons hat Monique in Szene gesetzt, dazu 65 Tiere, die kleinen Vögel und Fische nicht mitgezählt. Was nicht zu sehen ist: 48 Steckdosen verstecken sich unter der Szenerie, für die sie den Esstisch und einen Marmortisch zusammengeschoben hat. Von vier Steckdosen entlang der Zimmerwand aus mäandern sich die Stromkreise über mehrere Mehrfachsteckdosen unter dem Tisch dahin. Dort stehen auch drei Wasserkanister mit Pumpen, die das Wasserrad auf dem Tisch und in den Springbrunnen zum Sprudeln bringt. Ihre Schränke hat Monique in die Ecke geschoben, hinter der blauen Trennwand hat gerade noch ihr Fernseher und der Fernsehsessel Platz. Die Lichterketten hat sie auf LED-Lampen umgestellt, ansonsten mache sie sich über die Kosten der Lichtinstallation keinen Kopf, sagt die Französin. „Das kümmert mich nicht!“
Eigentlich hatte sie auch noch Musik eingeplant, eine Kinderstimme sollte über einen Lautsprecher die Weihnachtsgeschichte vorlesen, aber mit der Technik hapert es noch. Aber die Stille habe auch ihren Charme, findet die Französin, mit ihrer Weihnachtskrippe sei sie in diesem Jahr jedenfalls sehr zufrieden: Manchmal stehe sie abends, wenn die letzten Besucher gegangen sind, ganz allein vor dem Tisch, die Lichter blinken, die Wasserpumpen surren- und dann könne sie sich selbst nicht sattsehen, gesteht sie. .