Le Puy-Sainte-Réparade, Oktober 2023
La Coste ist nicht Lacoste – auch wenn die Navis von Provence-Urlaubern das gerne mal durcheinanderbringen. Denn der eine Ort – Lacoste mit seinem gleichnamigen Schloss – liegt am Nordhang des Luberon, ist Sitz einer großen amerikanischen Kunstschule und trägt den Stempel des inzwischen verstorbenen Modeschöpfers Pierre Cardin, der das kleine Dörfchen in ein Saint-Tropez der Kunst verwandeln wollte. Der andere Ort – das Château La Coste - befindet sich auf der anderen Bergseite nicht weit entfernt von Aix-en-Provence und lockt seit einigen Jahren Menschen aus aller Welt mit zeitgenössischer Kultur und Architektur auf höchstem Niveau, mit wunderschöner Natur und gutem Wein.
Der winzige Ort Le Puy-Sainte-Réparade ist kaum auf der Landkarte zu finden. Man fährt durch kleine Dörfer, dunkle Wälder, vorbei an Olivenhainen über holprige schmale Wege und zweifelt schon fast an seinem Navi, bevor man zwischen den Weinbergen den halbkreisförmigen silbernen Weinkeller entdeckt, der wie ein gelandetes Ufo im Grün der Weinberg liegt. Ein herrschaftliches Anwesen allerdings ist nirgends zu sehen: Das Château La Coste ist kein Schloss im üblichen Sinne, wohl eher ein Traumschloss, an dem der steinreiche irische Hotelier und Finanzmakler Paddy McKillen, ein Freund des U2-Sängers Bono, seit knapp 15 Jahren in diesem entlegenen Winkel der Provence baut und das er für Kunstliebhabern aus aller Welt öffnet.
Vor dem Parkhaus des Haupteingangs stehen die Autos in Warteschlange – ein Porsche hinter dem anderen. Ein Schild informiert darüber, dass an diesem Tag Porsche Marseille zu einem Event ins Château La Coste geladen hat. Wir fahren an der Autoschlange entlang und parken auf dem staubigen Parkplatz mit Blick auf den silbernen Weinkeller. Der französische Stararchitekt Jean Nouvel hat 2008 das futuristisch anmutende Gewölbe entworfen: Der Weinkeller besteht aus zehn Meter hohen Halbzylindern aus Aluminium. Darunter lagern bei optimalen Klimabedingungen bis zu 17 Metern unter der Erde die Fässer mit einigen der besten – und wohl auch teuersten – Weine der Region. Rund 700 000 Flaschen des begehrten AOP Côteaux d’Aix-en-Provence mit Bio-Zertifikat umfasst die Jahresproduktion des Weingutes.
Vom Parkplatz aus ist es nicht weit bis zum Besucherzentrum, einem puristisch-eleganten Pavillon aus Glas, glattem Beton und spitzen Winkeln von Tadao Ando. Der japanische Stararchitekt lernte Schreiner und versuchte sich als Profiboxer, bevor er sich der Architektur zuwandte. Das Ensemble aus Restaurant, Bibliothek und Ticketverkauf, umgeben von in der Sonne glitzernden Wasserbassins, zeugt von seiner Liebe zu rohen Materialien und einfachen Formen. Um das Besucherzentrum herum gruppieren sich auch die verschiedenen Restaurants, die zur gehobenen Gastronomie des Anwesens gehören. Nicht zuletzt hat das Luxushotel „Villa La Coste“ ein sterneprämiertes Restaurant.
Eine riesige Spinne, die über das Wasser spaziert, ist der künstlerische Blickfang neben dem Besucherzentrum: Die hockende Spinne (Crouching Spider 6696) ist eine bekannte Figur von Louise Bourgeois. In ihren Werken verarbeitete die französisch-amerikanische Bildhauerin stets die Schrecken ihrer Kindheit, für die vor allem ihr Vater steht – im Gegensatz dazu verband sie mit der liebevollen, schutz- und trostspendenden Mutter die Figur der Spinne. Die gebürtige Pariserin, 2010 gestorben, gehörte zu den ersten Künstlern, die Paddy McKillen um einen Beitrag zu seinem neuen Kunsttempel bat. Zunächst soll sie sich geziert haben, ihre Spinnen-Skulpturen gehörten nicht in private Hände, sondern müssten öffentlich zugänglich sein, so ihr Begehr. Wohlmöglich deshalb hatte McKillen die Idee, Château La Coste mit aller Welt zu teilen.
Seither ist das Kunstzentrum angewachsen, rund 40 Werke, auf dem weitläufigen Gelände verteilt, umfasst es inzwischen. Die Liste renommierter Künstler und Architekten, die in den Weinbergen ihre Werkspuren hinterlassen haben, ist beeindruckend: Frank O. Gehry, Renzo Piano, Oscar Niemeyer, Alexander Calder, Sophie Calle, Bob Dylon, Tatsuo Miyajima, Yoko Ono, Ai Weiwei, um nur einige zu nennen. Neben den Werken unter freiem Himmel gibt es auch drei Ausstellungspavillons. Rund zwei Stunden soll der Spaziergang durch den Skulpturenpark dauern. Zur Orientierung überreicht uns die junge Frau am Ticketcenter eine Wander- und Kunstkarte. Und so starten wir bei strahlender Sonne unter blauem Himmel, es geht hoch und es geht hinunter, umgeben von Rebstöcken, durch Eichen- und Olivenhaine und durch Wälder.
Unser erstes Ziel: Frank O. Gehrys „Musikpavillon“, 2008 ursprünglich für die Londoner Serpentine Gallery entworfen. Der preisgekrönte Architekt und Designer hat unter anderem so spektakuläre Gebäude wie das Guggenheim Museum im spanischen Bilbao und jüngst erst den Luma-Turm in Arles entworfen. Sein Musikpavillon besteht aus großen Holzbrettern und einem komplexen Netz aus übereinander angeordneten Glaspaneelen, die speziell für die besondere Akustik entworfen wurden. Er dient nun im Sommer auch für Freiluftkonzerte des internationalen Opernfestivals von Aix-en-Provence und für Open-Air-Kinovorführungen.
Spätestens im Musikpavillon merken wir, dass wir einen Begleiter haben: Ein großer Jagdhund folgt uns auf Schritt und Tritt. Ein Halsband trägt er nicht, er sieht ein bisschen malträtiert aus. Ist er einer der vielen Jagdhunde, die in Frankreich von ihren Besitzern nach Ende der Jagdsaison einfach ausrangiert und ausgesetzt werden? Jedenfalls tut er uns leid, und so lassen wir ihn einfach mit uns mittrotten.
Gleich hinter dem Musikpavillon stehen die Wunschbäume von Yoko Ono: Mandelbäume, an deren Zweige viele kleine Zettelchen flattern. Die Künstlerin, Musikerin, Filmemacherin, die doch immer als Frau von John Lennon in Erinnerung bleibt, hat ihren Beitrag ihrem ermordeten Mann gewidmet: Jeder Besucher ist eingeladen, seine eigenen Zukunfts- und Friedenswünsche auf Papier zu bringen und in den Wind zu hängen. So werden wir selbst zu Künstlern und grübeln: Welche Wünsche, welchen Satz hinterlassen wir hier dem großen Ganzen?
Nicht weit davon entfernt steht die Ausstellungshalle von Renzo Piano, dem Erbauer des Pariser „Centre Pompidou“. Um den Blick ins Grüne nicht zu verstellen, wurde der Glasbau sechs Meter tief in den Weinberg eingelassen. Von weitem sieht man nur das große Sonnensegel über dem gläsernen Flachdach, das an Metallbögen verankert ist.
Geheimnisvoll wirken die Steine, die oberhalb eines Olivenhains aus der Erde ragen und sich erst beim Näherkommen als eine besondere Schöpfungsfigur entpuppen: „Mutter Erde“ der französischen Künstlerin Pune Nourry ist eine schwangere Frau, von der nur der Kopf, der gewölbter Bauch und die gespreizten Beine zu sehen sind, die sinnlich aus dem Boden ragen.
Unser nächstes Kunstwerk: Vier Würfel zum Nachdenken über unsere Umwelt (Four Cubes to contemplate our environment), ebenfalls von Tadao Ando. Ein fensterloses Gebäude aus Fichtenholz, in das sich der Weg wie in ein Schneckenhaus hineindreht. Drinnen ist es sehr dunkel, bis man vor vier von innen beleuchteten Glaswürfeln steht, die jeder einem Thema gewidmet sind: dem Müll, den Treibhausemmissionen, dem Wasser. Der vierte Würfel ist leer, „Zukunft?“ steht auf dem Glas. Wir sind froh, als wir wieder im Licht stehen.
Eine wunderbar sinnliche Erfahrung bietet dagegen die Meditationsglocke von Paul Matisse, die mir am eindringlichsten in Erinnerung bleibt. Über einen Holzweg führt der Weg zur Glocke einen kleinen, gurgelnden Bach entlang. Zwischen den Bäumen steht das ungewöhnliche Gerüst aus Aluminiumrohren. Der amerikanische Künstler und Ingenieur Paul Matisse, ein Enkel des Malers Henri Matisse, hat drei Jahre gebraucht, um den komplexen Klangmechanismus zu entwickeln. An dem Glockenseil muss man energisch ziehen, damit vier schwere Hämmer mit voller Kraft auf die Rohre schlagen. Ein sanfter, tiefer, gedämpfter Ton erklingt und schwingt für eine kleine Ewigkeit durch die Luft, durch das Metall, das unter den Händen vibriert, und durch unseren Körper. Dazu klopft ein Specht ganz in der Nähe auf einen Baum – eine wunderbare Klangkomposition!
Weiter geht es über kleine Brücken, den Berg hinauf. Gut versteckt zwischen Steineichen stehen die Füchse aus Aluminium und Edelstahl des R.E.M.-Sängers Michael Stipe, der sich auch als Fotograf und Künstler einen Namen gemacht hat. Zudem engagiert er sich für den Tierschutz. Seine Fuchsfiguren sollen an die Wildtiere des Ortes erinnern.
Irgendwann auf unserem Weg durch den Skulpturenpark verlieren wir unseren Jagdhund-Begleiter. Und immer wieder verlieren wir uns in der Schönheit und den Rätseln des jeweiligen Ortes. Wir lassen uns treiben, trödeln, laufen Umwege.
Nach mehr als zwei Stunden stehen wir wieder vor dem Besucherzentrum, wo wir den Jagdhund dösend im Gras entdecken. Ein Blick auf unsere Karte zeigt uns: Wir sind längst nicht alle Skulpturen abgelaufen. Wo zum Beispiel hatten sich die Werke von Bob Dylon oder Ai Weiwei versteckt? Ich schätze, wir waren nicht das letzte Mal im Château La Coste.
Château La Coste, 2750 Route de la Cride, 13610 Le Puy-Sainte-Réparade, https://chateau-la-coste.com/